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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0151
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132 Der Fall Wagner

herauskristallisieren (vor allem im Rheingold), oder in die sie, falls mit ihnen
ein Bruch mit der gegebenen Ordnung einhergeht, von außen hereintreten (wie
etwa Siegmund in der Walküre oder Siegfried im gleichnamigen Teil).
32, 14-16 Es ist nicht das Publikum Corneille's, das Wagner zu schonen hat:
blosses neunzehntes Jahrhundert.] Vgl. auch NK KSA 6, 285, 16-19. Pierre Cor-
neille (1606-1684) erscheint bei N. gelegentlich als Inbegriff eines aristokrati-
schen Tragödiendichters, der sich an ein entsprechendes Publikum wendet,
vgl. M 191: „Man sagt mir, unsere Kunst wende sich an die gierigen, unersättli-
chen, ungebändigten, verekelten, zerquälten Menschen der Gegenwart und
zeige ihnen ein Bild von Seligkeit, Höhe und Entweltlichung neben dem Bilde
ihrer Wüstheit: sodass sie einmal vergessen und aufathmen können, ja viel-
leicht den Antrieb zur Flucht und Umkehr mit aus jenem Vergessen zurückbrin-
gen. Arme Künstler, mit einem solchen Publicum! Mit solchen halb priesterli-
chen, halb irrenärztlichen Hintergedanken! Um wie viel glücklicher war
Corneille — [...] — um wie viel höher seine Zuhörerschaft, welcher er mit
den Bildern ritterlicher Tugenden, strenger Pflicht, grossmüthiger Aufopferung,
heldenhafter Bändigung seiner selber wohlthun konnte! Wie anders liebten er
und sie das Dasein, nicht aus einem blinden wüsten ,Willen' heraus, den man
verflucht, weil man ihn nicht zu tödten vermag, sondern als einen Ort, auf
dem Grösse und Humanität mitsammen möglich sind und wo selbst der
strengste Zwang der Formen, die Unterwerfung unter eine fürstliche und geist-
liche Willkür weder den Stolz, noch die Ritterlichkeit, noch die Anmuth, noch
den Geist aller Einzelnen unterdrücken können, vielmehr als ein Reiz und
Sporn des Gegensatzes zur angeborenen Selbstherrlichkeit und Vor-
nehmheit, zur ererbten Macht des Wollens und der Leidenschaft empfunden
werden!" (KSA 3, 164, 18-165, 10, vgl. auch NL 1880, KSA 9, 4[270], 167 und NL
1885, KSA 11, 38[6], 602) Über Corneille und seine Publikumswirkung konnte
sich N. 1887/88 bei der Lektüre von Foucher 1873, 1-8 weiter unterrichten. N.
hat damals Exzerpte aus diesem Werk angelegt (NL 1887/88, KSA 13, 11[62]-
11[7O], 30-33 = KGW IX 7, W II 3, 168-171, vgl. Campioni / Röllin / Trenkle
2008). Auch in Ferdinand Brunetieres Etudes critiques sur l'histoire de la littera-
ture frangaise wird Corneille an einigen von N. teilweise markierten und anno-
tierten Stellen behandelt, z. B. dort, wo vom „equilibre" („Gleichgewicht") und
der „sante de l'intelligence" („Gesundheit der Vernunft") der französischen
Klassik die Rede ist (Brunetiere 1887, 302 f.; Kursiviertes von N. unterstrichen):
„Je serais tente de dire, en effet, que Corneille est classique pour ses qualites,
et romantique pour ses defauts." (Ebd., 318; Kursiviertes von N. unterstrichen.
„Ich bin versucht zu sagen, dass Corneille Klassiker ist in Bezug auf seine Quali-
täten und Romantiker in Bezug auf seine Fehler.").
 
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