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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0154
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Stellenkommentar WA 9, KSA 6, S. 32 135

ten er mit seinem Brief an Hermann Credner vom 25. 02. 1888 einen Verleger
zu gewinnen hoffte (KSB 8, Nr. 999, S. 262). In Spittelers Aufzeichnungen zu
seinem erst viel später und nur partiell realisierten Buchprojekt hieß es z. B.:
„Nichts ist gewöhnlicher als die Ansicht, Handlung wäre das wahre Wesen des
Dramas. Nichts ist jedoch unsicherer als die Richtigkeit dieser Ansicht." (Spit-
teler 1950, 531).
32, 27 [Anmerkung] Pathosscenen] In N.s Werken kommt dieser Ausdruck
nur im frühen Basler Vortrag Socrates und die Tragödie vor, wo N. eine Erläute-
rung zu Euripides gibt: „Die Wirkung der antiken Tragödie beruhte niemals
auf der Spannung, auf der anreizenden Ungewißheit, was sich jetzt ereignen
werde, vielmehr auf jenen großen breitgebauten Pathosscenen, in denen der
musikalische Grundcharakter des dionysischen Dithyrambus wieder vorklang."
(KSA 1, 538, 21-25) Bei Wagner gibt es jenen Begriff nicht, hingegen wird er
schon in Gustav Freytags Technik des Dramas häufig gebraucht — ein Buch,
das N. zur Abfassungszeit des Vortrags noch besaß (Freytag 1863, 79, 122 u. ö.,
vgl. z. B. auch den Begriffsgebrauch im Blick auf die antike Tragödie bei Gün-
ther 1885, 65 f.).
32, 28-33 [Anmerkung] Das Wort Drama ist dorischer Herkunft: und nach
dorischem Sprachgebrauch bedeutet es „Ereigniss," „Geschichte," beide Worte
in hieratischem Sinne. Das älteste Drama stellte die Ortslegende dar, die „heilige
Geschichte," auf der die Gründung des Cultus ruhte (— also kein Thun, sondern
ein Geschehen: öpäv heisst im Dorischen gar nicht „thun").] Der Bemerkung
voraus geht in NL 1888, KSA 13, 14[34], 235 (korrigiert nach KGW IX 8, W II 5,
174, 29-36, im Folgenden wird nur die von N. überarbeitete Fassung ohne die
durchgestrichenen Passagen wiedergegeben) eine Aufzeichnung unter dem
Titel „Drama": „das Drama ist nicht, wie die Halbgelehrten glauben(,) die
Handlung, sondern [...], gemäß der dorischen Herkunft von Wort und ,Drama',
auch dorisch-hieratisch [...] zu verstehen [ursprünglich lautete diese Stelle: ,[...]
nach der dorischen Bedeutung von 6pav und öpapa zu verstehen']: es ist das
Begebniß, das ,Ereigniß'(,) die heilige Geschichte, die Gründungs-Legende, das
,Nachsinnen'(,) die Vergegenwärtigung der Aufgabe des Hieratischen".
Aristoteles bespricht die Herkunft des Wortes und der Sache „Drama" im
3. Kapitel seiner Poetik (1448 a-b). In der von N. benutzten Übersetzung Fried-
rich Ueberwegs lautet der Passus wie folgt: „Hiernach wird die Dichtung des
Sophokles in dem einen Betracht mit der des Homer unter den nämlichen
Begriff fallen, sofern Beide edlere Charaktere darstellen, in einem andern
Betracht aber mit der des Aristophanes, sofern Beide die Personen in ihren
Dichtwerken als handelnde oder wirkende (dramatisch) darstellen; die Benen-
nung ihrer Stücke als Dramen (öpdpaTa) soll eben davon herrühren, dass sie
 
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