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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0172
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Stellenkommentar WA 10, KSA 6, S. 36-37 153

Schelling, zuletzt aber auch der selbst ihrer ganz unwürdige und sehr viel
tiefer als diese Talent-Männer stehende, plumpe, geistlose Scharlatan Hegel."
(Schopenhauer 1873-1874, 4/2, 147).
Auch in Schopenhauers Denken spielt die „Idee" eine nicht geringzuschät-
zende Rolle — und zwar, wie Wagner wusste, gerade im Bereich der Musik:
„Daß ihr bloßes Element aber bereits als eine Idee der Welt von uns nicht mehr
erschaut, sondern im tiefsten Bewußtsein empfunden wird, lernten wir mit so
großem Erfolge durch Schopenhauer sofort erkennen, und diese Idee verstehen
wir als eine unmittelbare Offenbarung der Einheit des Willens, welche sich
unserem Bewußtsein, von der Einheit des menschlichen Wesens ausgehend,
auch als Einheit mit der Natur, die wir ja ebenfalls durch den Schall verneh-
men, unabweisbar darstellt." (Wagner 1871-1873, 9, 90 = Wagner 1907, 9, 72).
36, 23-25 Er machte bloss die Nutzanwendung auf die Musik — er erfand sich
einen Stil, der „Unendliches bedeutet," — er wurde der Erbe Hegel's... Die
Musik als „Idee" -] Vgl. NK 36, 10-14.
36, 34 Polychromie des Ideals] Das griechische Wort „Polychromie" bedeutet
„Vielfarbigkeit". Wird es mit dem Ideal kontaminiert, so kommt ein dekadent-
buntscheckiges Ideal heraus. Nach der im 19. Jahrhundert herrschenden Auf-
fassung ist „die Bemalung der Bau- und Bildwerke mit bunten Farben, [...] ein
durchgängig geltendes, von ältester Zeit bis in den Beginn, teilweise bis zur
Blüte der Renaissance herrschendes Gesetz der bildenden Kunst gewesen"
(Meyer 1885-1892, 13, 203). Mit N.s Kunstgeschmack dürfte sich ein derartig
bunter Anstrich schwer vereinbaren lassen; „Polychromie" erscheint ihm
zumindest bei den Idealen der „Jünglinge" (36, 32) als Ausdruck der
Geschmacksbeliebigkeit. Vgl. auch NK KSA 6, 377, 22-378, 6.
37, 1-4 es ist Wagner's Genie der Wolkenbildung, sein Greifen, Schweifen und
Streifen durch die Lüfte, sein Überall und Nirgendswo, genau Dasselbe, womit
sie seiner Zeit Hegel verführt und verlockt hat!] Die — Aristophanes' Vögeln
entnommene — Wolkenmetapher wird beispielsweise auch in Schopenhauers
Invektive gegen die Deutschen Idealisten gebraucht, und zwar unmittelbar
nach der in NK 36, 15-19 zitierten Passage aus der Preisschrift über die Grund-
lage der Moral: „Als Stufe zu jenem Prophetenthum der Vernunft
mußte sogar der armsälige Witz dienen, daß, weil das Wort Vernunft von
Vernehmen kommt, dasselbe besage, daß die Vernunft ein Vermögen sei,
jenes sogenannte ,Uebersinnliche' (vecpeÄOKOKKvyia, Wolkenkukuksheim) zu
vernehmen. Der Einfall fand ungemessenen Beifall, wurde in Deutschland
30 Jahre hindurch, mit unsäglichem Genügen, unablässig wiederholt, ja, /148/
zum Grundstein philosophischer Lehrgebäude gemacht; — während es am
Tage liegt, daß freilich Vernunft von Vernehmen kommt, aber nur weil
 
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