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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0203
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184 Der Fall Wagner

zu machen — ohne jeden Erfolg, wie aus Cosimas Tagebucheinträgen vom 6.
und 8. August 1874 zu erfahren ist: „Unser Freund N. bringt das Triumphlied
von Brahms, Richard lacht laut auf, daß Musik auf das Wort ,Gerechtigkeit'
gemacht würde" (C. Wagner 1988, 2, 843). „Nachmittags spielen wir das Tri-
umphlied von Brahms, großer Schrecken über die Dürftigkeit dieser uns selbst
von Freund Nietzsche gerühmten Komposition, Händel, Mendelssohn und
Schumann in Leder gewickelt; R[ichard] wird sehr böse und spricht von seiner
Sehnsucht, etwas zu finden in der Musik auch von der Überlegenheit des Chris-
tus, wo doch ein Gestaltungstrieb, eine Empfindung, welche zur Empfindung
spreche, vorhanden sei" (C. Wagner 1988, 2, 843 f.).
In der Phase der Ablösung von Wagner, in NL 1878, KSA 8, 30[76], 535
erwägt N. das, was er in 47, 19-23 als „Missverständniss" charakterisiert, näm-
lich, ob nicht Brahms, „in dessen Musik mehr deutsches Blut fliesst als in der
Wagners", die „[hjeilsamste Erscheinung" sei — man mag ergänzen: um Wag-
ners Einfluss zu brechen. Erst mit einiger zeitlicher Distanz zum Bruch mit
Wagner, in NL 1885, KSA 11, 36[52], 571 rückt die Kontinuität, in der Brahms
zu Wagner stehe, in den Vordergrund: „Brahms, kein ,Ereigniß', keine Aus-
nahme, kein Riß der Kette vor Wagner, vielmehr ein Ring mehr". Kurz darauf
wird er dann mit „brave[r] Mittelmäßigkeit" assoziiert (NL 1885/86, KSA 12,
1[158], 46 = KGW IX 2, N VII 2, 93, 1-10). Übrigens besaß N. mehrere Brahms-
Notenausgaben in seiner Bibliothek (NPB 701-703).
47, 30-32 Rechnet man ab, was er nachmacht, was er grossen alten oder exo-
tisch-modernen Stilformen entlehnt] Zu dieser Stelle in den Druckfahnen notiert
Köselitz auf seiner Postkarte an N. am 11. 08. 1888: „Unter exotisch-modernen
Stilformen bei Brahms meinen Sie vielleicht die ungar. Tänze. Diese sind nicht
von ihm, sondern von Componisten, die zum Theil noch leben; aber Brahms
hat ihre Namen nicht genannt, sodass alle Welt glaubte, sie seien 4händig
von ihm componirt: auch der Titel verführte dazu, — eine nicht ganz saubere
Geschichte. Durch diese Tänze ist Br(ahms) berühmt geworden!" (KGB III 6,
Nr. 564, S. 263, Z. 20-27) Heft 1 und 2 von Brahms' Ungarischen Tänzen sind
im Jahr 1865 erschienen, 1. und 2. Heft, Heft 3 und 4 im Jahr 1880. Zum Exotis-
mus vgl. NK KSA 6, 428, 22 f.
48, 7-11 Brahms ist rührend, so lange er heimlich schwärmt oder über sich
trauert — darin ist er „modern" —; er wird kalt, er geht uns Nichts mehr an,
sobald er die Klassiker beerbt... Man nennt Brahms gern den Erben Beetho-
ven's: ich kenne keinen vorsichtigeren Euphemismus.] Weniger euphemistisch
klingt eine Notiz in NL 1886/87, KSA 12, 7[7], 285, 17-19, die von den „entliehe-
nen Formen z. B. Brahms" handelt, „typischer ,Epigone' Mendelssohn's gebil-
deter Protestantismus ebenfalls (eine frühere ,Seele' wird nach gedichtet...)".
 
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