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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0216
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I Überblickskommentar

1 Entstehungs- und Textgeschichte
Die Gotzen-Dämmerung (GD) verdankt ihre Entstehung zunächst diversen Vor-
arbeiten und Plänen, denen N. 1887/88 den Werktitel „Der Wille zur Macht"
gegeben hat (zum biographischen Rahmen vgl. NK ÜK AC). Es lässt sich im
Nachlass deutlich nachvollziehen, wie einzelne Themen, die sich später als
Kapitel von GD herauskristallisierten, in Plänen und Entwürfen zum nie reali-
sierten „Willen zur Macht" ursprünglich in anderen Kontexten standen. Die
Notizen belegen eine fortlaufende Revision, Neuverwertung und -verortung
einzelner Textteile. „Die Götzen-Dämmerung stellt eine Art Zwillingswerk des
Antichrist dar, vor allem auch vom Gesichtspunkt der Entstehungsgeschichte."
(Montinari 1984, 72) GD erwuchs aus denselben, im Nachlass überlieferten
Vorarbeiten, und zwar zunächst aus einem Manuskript, das auch die Texte
enthielt, die später die 24 ersten Abschnitte des Antichrist sein sollten.
Anfang September 1888 beschloss N., einerseits den „Müssiggang eines
Psychologen" in Druck zu geben, andererseits ein neues Hauptwerk unter dem
Titel „Die Umwerthung aller Werthe" vorzubereiten. An seinen Verleger Con-
stantin Georg Naumann schrieb er am 7. September 1888: „Soeben geht das
allersauberste Ms. an Sie ab, das ich je Ihnen gesandt habe. Es handelt sich
um eine Schrift, welche in Hinsicht auf Ausstattung vollkommen der Zwilling
zu dem ,Fall Wagner' bilden soll. Ihr Titel ist: Müssiggang eines Psycho-
logen. Ich habe es nöthig, sie jetzt noch herauszugeben, weil wir Ende nächs-
ten Jahres wahrscheinlich daran gehen müssen, mein Hauptwerk die Umwer-
thung aller Werthe zu drucken. Da dasselbe einen sehr strengen und
ernsten Charakter hat, so kann ich ihm nichts Heiteres und Anmuthiges hinten
nach schicken. Andrerseits muß ein Zeitraum zwischen meiner letzten Pu-
blikation und jenem ernsten Werke liegen." (KSB 8, Nr. 1103, S. 411 f., Z. 4-
15) Die Kapitel „Das Problem des Sokrates", „Die ,Vernunft' in der Philoso-
phie", „Wie die ,wahre Welt' endlich zur Fabel wurde", „Moral als Widerna-
tur", „Die vier grossen Irrthümer" und „Die Verbesserer der Menschheit" —
allesamt kleine Abhandlungen — haben ihren Ursprung jeweils in Materialien,
die N. in der ersten Jahreshälfte 1888 für das geplante Werk „Der Wille zur
Macht" zusammengestellt hatte. Diese Texte aus dem Nachlass waren mit dem
Aufgeben aller Werkpläne für einen „Willen zur Macht" frei geworden und
konnten so in GD verwertet werden. „Die Götzen-Dämmerung liefert [...] den
Beweis dafür, daß Nietzsche auf das Vorhaben [sc. eines Werkes namens „Wil-
len zur Macht"] verzichtet hatte, das ihn seit September 1885 beschäftigte."
 
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