206 Götzen-Dämmerung
dass die „Umwerthung aller Werthe" seit der Geburt der Tragödie (vgl. GD Was
ich den Alten verdanke 5, KSA 6, 160, 25 f.) N.s bestimmendes Lebensmotiv
darstellt. Der Markierung dieser „Wiederkunft" eines Lebensthemas dient auch
der Schlusssatz des Kapitels, in dem sich das Ich als „Lehrer der ewigen Wie-
derkunft" (GD Was ich den Alten verdanke 5, KSA 6, 160, 29 f.) bekennt: Die
„ewige Wiederkunft des Gleichen" als ontologische oder als ethische ,Lehre'
kommt in GD ansonsten nicht vor und spielt im publizierten oder zur Publika-
tion fertiggestellten Spätwerk N.s ohnehin nur noch eine marginale Rolle. „Was
ich den Alten verdanke" betont die Prägung durch den römischen Stil (Sallust
und Horaz), während das sich sonst doch so graecophil gebende Ich nun
,,[d]en Griechen [...] durchaus keine verwandt starken Eindrücke" (GD Was ich
den Alten verdanke 5, KSA 6, 155, 10 f.) zu verdanken haben will: Vielmehr
wird die Fremdheit des ursprünglichen Griechentums herausgearbeitet und
gegen den „präexistent-christlich[en]" (GD Was ich den Alten verdanke 5, KSA
6, 155, 29 f.) Platon profiliert. Dagegen helfe Thukydides. Abschließend kommt
N. auf das Dionysische zu sprechen. „Damit es die ewige Lust des Schaffens
giebt, damit der Wille zum Leben sich ewig selbst bejaht, muss es auch ewig
die ,Qual der Gebärerin' geben..." (GD Was ich den Alten verdanke 5, KSA 6,
159, 27-30).
In der ursprünglichen Anlage des Textes standen die beiden Aphorismen-
sammlungen „Sprüche und Pfeile" und „Streifzüge eines Unzeitgemässen" am
Anfang bzw. am Ende des Buches, bildeten also einen Rahmen. Die Sentenzen-
sammlung zu Beginn diente dem Spannungsaufbau, dann die längeren Apho-
rismen in den „Streifzügen", die viel Zeitgemäßes unzeitgemäß perspektivie-
ren, am Ende der allmählichen Abspannung. Im Oktober 1888, als N. sich
entschloss, Ecce homo zu schreiben, fügte er GD noch das Kapitel „Was ich
den Alten verdanke" hinzu, das im Nachlassheft W II 9c eigentlich für eine
kleine Selbstdarstellung bestimmt war. Die Einheit der Rahmung von GD durch
Aphorismen-Sammlungen wurde durch diese Hinzufügung zerbrochen. Dafür
verspricht das Kapitel „Was ich den Alten verdanke" autobiographische Aus-
künfte. Diese Erweiterung des Genre-Repertoires unterstreicht den Eindruck
einer „vollkommenen Gesammt-Einführung": Der Leser von GD bekommt nicht
nur einen Streifzug durch N.s Denken geboten, sondern eben auch durch seine
Stil- und Schreiblandschaften.
GD ist kein homogener Text. Stattdessen werden darin sehr heterogene
Texttypen erprobt. Man könnte argumentieren, dies sei ein Beispiel für deca-
dence-Schreiben (vgl. Stern 2009, 107) — nämlich für decadence als Fehlen
formaler und inhaltlicher Einheit — womit N. das, was er zu bekämpfen vor-
gibt, in seinem eigenen Schreiben vorführe, während er im Antichrist qua
„Umwerthung aller Werthe" die formale und inhaltliche Einheit anstrebe und
dass die „Umwerthung aller Werthe" seit der Geburt der Tragödie (vgl. GD Was
ich den Alten verdanke 5, KSA 6, 160, 25 f.) N.s bestimmendes Lebensmotiv
darstellt. Der Markierung dieser „Wiederkunft" eines Lebensthemas dient auch
der Schlusssatz des Kapitels, in dem sich das Ich als „Lehrer der ewigen Wie-
derkunft" (GD Was ich den Alten verdanke 5, KSA 6, 160, 29 f.) bekennt: Die
„ewige Wiederkunft des Gleichen" als ontologische oder als ethische ,Lehre'
kommt in GD ansonsten nicht vor und spielt im publizierten oder zur Publika-
tion fertiggestellten Spätwerk N.s ohnehin nur noch eine marginale Rolle. „Was
ich den Alten verdanke" betont die Prägung durch den römischen Stil (Sallust
und Horaz), während das sich sonst doch so graecophil gebende Ich nun
,,[d]en Griechen [...] durchaus keine verwandt starken Eindrücke" (GD Was ich
den Alten verdanke 5, KSA 6, 155, 10 f.) zu verdanken haben will: Vielmehr
wird die Fremdheit des ursprünglichen Griechentums herausgearbeitet und
gegen den „präexistent-christlich[en]" (GD Was ich den Alten verdanke 5, KSA
6, 155, 29 f.) Platon profiliert. Dagegen helfe Thukydides. Abschließend kommt
N. auf das Dionysische zu sprechen. „Damit es die ewige Lust des Schaffens
giebt, damit der Wille zum Leben sich ewig selbst bejaht, muss es auch ewig
die ,Qual der Gebärerin' geben..." (GD Was ich den Alten verdanke 5, KSA 6,
159, 27-30).
In der ursprünglichen Anlage des Textes standen die beiden Aphorismen-
sammlungen „Sprüche und Pfeile" und „Streifzüge eines Unzeitgemässen" am
Anfang bzw. am Ende des Buches, bildeten also einen Rahmen. Die Sentenzen-
sammlung zu Beginn diente dem Spannungsaufbau, dann die längeren Apho-
rismen in den „Streifzügen", die viel Zeitgemäßes unzeitgemäß perspektivie-
ren, am Ende der allmählichen Abspannung. Im Oktober 1888, als N. sich
entschloss, Ecce homo zu schreiben, fügte er GD noch das Kapitel „Was ich
den Alten verdanke" hinzu, das im Nachlassheft W II 9c eigentlich für eine
kleine Selbstdarstellung bestimmt war. Die Einheit der Rahmung von GD durch
Aphorismen-Sammlungen wurde durch diese Hinzufügung zerbrochen. Dafür
verspricht das Kapitel „Was ich den Alten verdanke" autobiographische Aus-
künfte. Diese Erweiterung des Genre-Repertoires unterstreicht den Eindruck
einer „vollkommenen Gesammt-Einführung": Der Leser von GD bekommt nicht
nur einen Streifzug durch N.s Denken geboten, sondern eben auch durch seine
Stil- und Schreiblandschaften.
GD ist kein homogener Text. Stattdessen werden darin sehr heterogene
Texttypen erprobt. Man könnte argumentieren, dies sei ein Beispiel für deca-
dence-Schreiben (vgl. Stern 2009, 107) — nämlich für decadence als Fehlen
formaler und inhaltlicher Einheit — womit N. das, was er zu bekämpfen vor-
gibt, in seinem eigenen Schreiben vorführe, während er im Antichrist qua
„Umwerthung aller Werthe" die formale und inhaltliche Einheit anstrebe und