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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0231
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212 Götzen-Dämmerung

zieht) soll sein: / Götzen-Dämmerung. / Oder: / wie man mit dem Ham-
mer philosophirt. / Von / F. N. / Der Sinn der Worte, zuletzt auch an sich
errathbar, ist, wie gesagt, das Thema der kurzen Vorrede. [...] Übrigens
warnt mich Gersdorff [sc. nach der Lektüre von WA, vgl. KGB III 6, Nr. 582,
S. 311] ganz ernsthaft vor den Wagnerianerinnen. — Auch in diesem Sinne wird
der neue Titel Götzen-Dämmerung gehört werden, — also noch eine
Bosheit gegen Wagner..." (KSB 8, Nr. 1122, S. 443, Z. 11-41).
Natürlich spielt N. damit auf den Titel des letzten Teils von Wagners Tetra-
logie Der Ring des Nibelungen an, die Götterdämmerung (uraufgeführt 1876 in
Bayreuth), an deren Ende Walhall und damit die Götter untergehen. Freilich
braucht man in der Titel-Analogie nicht nur „Bosheit" am Werk zu sehen, denn
auch Wagners Götterdämmerung ist mit dem Ende der Götterwelt der Versuch
einer Umwertung der Werte. N. würde Wagner nur vorhalten, er habe seine
eigene Umwertungsarbeit verraten. Selbst macht er im Titel von GD einen para-
sitären Gebrauch von der Götterdämmerung und bleibt somit auf sie bezogen,
wie ohnehin N.s Umwertungsunternehmen strukturanalog zur nihilistischen
Umwertung ist, die sich seiner Ansicht nach von Platon und Paulus bis zu
Schopenhauer hinzieht. Die Ideale befinden sich im Zustand der Dämmerung,
also ihres nahenden Untergangs (vgl. Scott 1991, 121 f.). Noch in einem Brief
an Helen Zimmern um den 17. Dezember 1888 verlautbarte N. „Jetzt eben
erscheint von mir etwas extrem Radikales Götzen-Dämmerung. Oder: wie
man mit dem Hammer philosophirt." In einer Anmerkung dazu heißt es: „Man
könnte den Titel vereinfachen: Götzen-Hammer". Der Brief schließt mit
den Worten „Meine Argumente sind ganz andrer Art, als je angewendet worden
sind, — ich bin gar kein Mensch, ich bin Dynamit." (KSB 8, Nr. 1197, S. 537,
Z. 24-30).
„Marteau des Idoles" hätte nach N.s Vorstellung auch die französi-
sche Übersetzung genannt werden sollen (Briefentwurf an Jean Bourdeau, um
den 17. 12. 1888, KSB 8, Nr. 1196, S. 535, Z. 81). Diese Titel-Variante erinnert
an den berüchtigten Hexenhammer (Malleus maleficarum) (1486) von Heinrich
Institoris. Übrigens ist die Selbstbeschreibung als Denker „mit dem Hammer"
nicht von N. erfunden worden: Schon Thomas Müntzer charakterisiert sich auf
dem Titelblatt seiner streitbaren Predigt Ausgetrückte Emplößung des falschen
Glaubens, der ungetreuen Welt von 1524 ausdrücklich als „Thomas Muntzer,
mit dem Hammer". Das Motiv des Hammers dominierte auch die späten Über-
legungen zu Titel und Charakter des Werkes, das zu jenem Zeitpunkt mit dem
neuen Titel Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt
bereits ausgedruckt vorlag, auch wenn es erst Anfang 1889 an den Buchhandel
ausgeliefert werden sollte, vgl. NK 57, 21 f. GD ist das einzige Werk N.s mit
einem durch die Konjunktion „oder" verbundenen Doppeltitel, während die
 
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