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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0234
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Stellenkommentar GD Vorwort, KSA 6, S. 55-57 215

von Kraft" geltend macht und damit die bloß literarische Produktion von ver-
nünftigen Reden und menschlicher Weisheit ins Metaliterarische transzendie-
ren will. Den christlichen „Beweis der Kraft" greift N. in AC 50 (KSA 6, 229 f.)
an, wo er ihn wie in MA I 120 (KSA 2, 120) mit dem „Beweis der Lust" verbindet.
Während er im frühen Nachlass durchaus noch einen philosophischen „Beweis
der Kraft" aus der Liebe für möglich hält (NL 1872/73, KSA 7, 19[103], 453),
scheint er sich im Nachlass 1888 auch gegen die in Lessings Aufsatz Über den
Beweis des Geistes und der Kraft (1777) versuchte aufklärerische Transformation
der Idee eines Beweises der Kraft zu wenden: Während der paulinische Beweis
der Kraft traditionell in der übersinnlichen Wunderwirkung des Glaubens
gefunden wird, ist — diesseits der für N. längst abgetanen Diskussion über die
Möglichkeit von Wundern — bei Lessing der Beweis der Kraft des Glaubens
durch dessen innerliche Resultate zu erbringen, nämlich nach Matthäus 7, 16
durch „die Früchte jener Wunder und erfüllten Weissagungen" (Lessing 1856,
85): „Was kümmert es mich, ob die Sache falsch oder wahr ist; die Früchte
sind trefflich" (Lessing 1856, 86). Diese Betrachtungsweise tut N. im Nachlass
als verfehlten Beweis- und Wahrheitsbegriff ab: „,An ihren Früchten sollt ihr
sie erkennen' — nämlich unsere ,Wahrheiten': das ist das Priester-Raisonne-
ment bis heute noch. Sie haben selbst verhängnißvoll genug ihren Scharfsinn
dahin verschwendet, dem ,Beweis der Kraft' (oder ,aus den Früchten') den
Vorrang, ja die Entscheidung über alle Formen des Beweises zu geben." (NL
1888, KSA 13, 15[71], 452, 11-16; vgl. 15[74], 453 f.) Zur Positivierung des Bewei-
ses der Kraft benutzt das Vorwort von GD das Mittel der ironischen Übersteige-
rung: Nicht die Resultate oder die reale Kraft geben einen Beweis ab, sondern
deren Übermaß. Vgl. GD Die vier grossen Irrthümer 5, KSA 6, 93, wo die Überle-
gungen zum Thema einen stärker physiologischen Anstrich bekommen, sowie
NK KSA 6, 204, 29 f. u. 229, 15. In EH Warum ich so weise bin 4, KSA 6, 271, 2
wird Zarathustras Überwindung des Mitleidens als „Beweis von Kraft"
bezeichnet; es findet also eine dezidiert antichristliche Appropriation des
christlichen Begriffs statt.
57, 7 Umwerthung aller Werthe,dies Fragezeichen] Zum Begriff und
Werkprojekt vgl. ausführlich NK ÜK AC. Die Gleichsetzung der „Umwerthung"
mit einem „Fragezeichen" verdeutlicht, dass sie zunächst nichts festes Neues
setzt — also keinen neuen Wertekatalog —, sondern die herkömmlichen
Moral(en) unterminiert. Mit dem „Fragezeichen" stellt das Vorwort zu GD den
Bezug zum „Epilog" von FW her, wo wiederum Lachen und Tanzen als Gegen-
mittel aufgeboten werden (FW 383, KSA 3, S. 637).
57, 11 f. Jedes Mittel ist dazu recht, jeder „Fall" ein Glücksfall.] N. nimmt damit
eine Wendung aus WA Epilog auf: „Der Fall Wagner ist für den Philosophen
 
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