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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0242
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Stellenkommentar GD Sprüche, KSA 6, S. 58 223

58, 14-16 Das hindert nicht, dass sie die geglaubtesten sind; auch sagt
man, zumal im vornehmsten Falle, durchaus nicht Götze...] Ohne die Kenntnis
des Textes von GD kann der Leser nur mutmaßen, wer oder was denn wohl
dieser nicht als Götze bezeichnete Götze sein mag, da das Vorwort keinen Göt-
zen direkt identifiziert, sondern in der metaphorischen Sprechweise bleibt.
Dies gehorcht der Textstrategie, durch Metaphern-Amalgamierung die Erwar-
tung des Lesers gleichzeitig zu schüren und offenzuhalten, vgl. NK 58, 7-9.
Auch nach der Lektüre von GD kommen mehrere Götzen für diesen „vornehm-
sten Fall" in Frage: Gott, die Wahrheit, die Vernunft, die Moral. Gott mag der
wahrscheinlichste Kandidat sein (vgl. NK 78, 12 f.), zumal es seit dem Alten
Testament ja gängige Praxis der Monotheisten war, die jeweils anderen Götter
als Götzen zu verunglimpfen. N. setzt mit GD diese Praxis fort und überbietet
sie zugleich, indem er keinen Gott mehr anerkennt, der nicht Götze wäre.
58, 17-19 Turin, am 30. September 1888, / am Tage, da das erste Buch der
Umwerthung / aller Werthe zu Ende kam.] Vgl. NK ÜK AC. Ende 1888
will N. am 30. September nicht nur das erste Buch, sondern die ganze Umwer-
thung aller Werthe abgeschlossen haben, vgl. EH GD 3, KSA 6, 356, 8-10. Auch
das Gesetz wider das Christenthum datiert an diesem „Tage des Heils, am ersten
Tage des Jahres Eins (— am 30. September 1888 der falschen Zeitrechnung)"
(AC GWC, KSA 6, 254, 2 f.). Das Vorwort von GD ist tatsächlich schon vor diesem
Datum entstanden.

Sprüche und Pfeile
Das Genre der Sentenz hat N. von 1882 an in seinem Nachlass häufig erprobt;
das „Vierte Hauptstück" von JGB: Sprüche und Zwischenspiele, ist N.s erste
Sentenzensammlung (JGB 63-185, KSA 5, 85-104). Das erste, 44 solcher Sen-
tenzen enthaltende Kapitel von GD lässt sich als „eine Art Vor-Spiel zum Ernst
der drauffolgenden philosophischen Abhandlungen" verstehen (Montinari
1984, 70). Sentenzen erscheinen als auf einen Satz verknappte Aphorismen,
vgl. auch GD Streifzüge eines Unzeitgemässen, KSA 6, 153, 11-15, JGB 235, KSA
5, 173 u. NL 1876/77, KSA 8, 20[3], 361. Im Frühwerk hingegen stand N. unter
Wagners Einfluss der Sentenz noch entschieden ablehnend gegenüber, vgl. NK
KSA 1, 77, 12-14; eine Auffassung, die sich mit der Loslösung von Wagner mar-
kant änderte und sich in ein „Lob der Sentenz" (MA II VM 168, KSA 2,
446, 6, vgl. auch MA II VM 165, KSA 2, 445) transformierte.
 
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