Stellenkommentar GD Sprüche, KSA 6, S. 59 225
lens zur Macht zu fassen, wie ich sie fasse — daran hat noch Niemand in
seinen Gedanken selbst gestreift: sofern es nämlich erlaubt ist, in dem, was
bisher geschrieben wurde, ein Symptom von dem, was bisher verschwiegen
wurde, zu erkennen. Die Gewalt der moralischen Vorurtheile ist tief in die
geistigste, in die anscheinend kälteste und voraussetzungsloseste Welt gedrun-
gen — und, wie es sich von selbst versteht, schädigend, hemmend, blendend,
verdrehend. Eine eigentliche Physio-Psychologie hat mit unbewussten Wider-
ständen im Herzen des Forschers zu kämpfen, sie hat ,das Herz' gegen sich:
schon eine Lehre von der gegenseitigen Bedingtheit der ,guten' und der
,schlimmen' Triebe, macht, als feinere Immoralität, einem noch kräftigen und
herzhaften Gewissen Noth und Überdruss, — noch mehr eine Lehre von der
Ableitbarkeit aller guten Triebe aus den schlimmen." (KSA 5, 38, 4-19) Vgl.
auch NK KSA 6, 305, 7-11.
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59, 6 f. Auch der Muthigste von uns hat nur selten den Muth zu dem, was er
eigentlich weiss...] Vgl. NK 59, 16 f. Entsprechend verlangt das Vorwort zu AC
von den verständigen Lesern ausdrücklich ,,[e]ine Vorliebe der Stärke für Fra-
gen, zu denen Niemand heute den Muth hat; de[n] Muth zum Verbotenen"
(KSA 6, 167, 15 f.). Es gibt zur Sentenz 59, 6 f. in N.s Briefen mehrere Vorüberle-
gungen, die das Fehlen des Mutes stark an das sprechende Subjekt zurückbin-
den. So heißt es an Marie Baumgartner bereits am 02. 08. 1875, KSB 5, Nr. 475,
S. 95, Z. 20-23: „Nun wächst jetzt in mir mancherlei auf und von Monat zu
Monat sehe ich einiges über meine Lebensaufgabe bestimmter, ohne noch den
Muth gehabt zu haben, es irgend Jemandem zu sagen." Manche Passagen
hören sich nach Selbstermutigung an, so an Overbeck am 08. 03. 1884, KSB 6,
Nr. 494, S. 485, Z. 17-19: „ich habe mir selber Muth machen müssen, da mir
von überall her nur die Entmuthigung kam: Muth zum Tragen jenes Gedan-
kens!" Eher verzagt klingt es im Brief an Overbeck vom 12. 02. 1887, KSB 8,
Nr. 798, S. 21, Z. 59 f.: „Wenn ich nur den Muth hätte, Alles zu denken, was
ich weiß.." Auch im Brief an Georg Brandes vom 02. 12. 1887, KSB 8, Nr. 960,
S. 206, Z. 31-34 dominiert noch nicht die Selbstgewissheit: „Es scheint mir
mehr am Muthe, am Stärkegrade seines Muthes gelegen, was ein Mensch
bereits für ,wahr' hält oder noch nicht... (Ich habe nur selten den Muth zu
dem, was ich eigentlich weiß)".
Eine Notiz aus NL 1887, KSA 12, 9[123], 407, 26-408, 4 (korrigiert nach KGW
IX 6, W II 1, 45, 1-12) stellt den Zusammenhang mit der Nihilismusproblematik
her: „Zur Genesis des Nihilisten. / Man hat nur spät den Muth zu dem,
lens zur Macht zu fassen, wie ich sie fasse — daran hat noch Niemand in
seinen Gedanken selbst gestreift: sofern es nämlich erlaubt ist, in dem, was
bisher geschrieben wurde, ein Symptom von dem, was bisher verschwiegen
wurde, zu erkennen. Die Gewalt der moralischen Vorurtheile ist tief in die
geistigste, in die anscheinend kälteste und voraussetzungsloseste Welt gedrun-
gen — und, wie es sich von selbst versteht, schädigend, hemmend, blendend,
verdrehend. Eine eigentliche Physio-Psychologie hat mit unbewussten Wider-
ständen im Herzen des Forschers zu kämpfen, sie hat ,das Herz' gegen sich:
schon eine Lehre von der gegenseitigen Bedingtheit der ,guten' und der
,schlimmen' Triebe, macht, als feinere Immoralität, einem noch kräftigen und
herzhaften Gewissen Noth und Überdruss, — noch mehr eine Lehre von der
Ableitbarkeit aller guten Triebe aus den schlimmen." (KSA 5, 38, 4-19) Vgl.
auch NK KSA 6, 305, 7-11.
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59, 6 f. Auch der Muthigste von uns hat nur selten den Muth zu dem, was er
eigentlich weiss...] Vgl. NK 59, 16 f. Entsprechend verlangt das Vorwort zu AC
von den verständigen Lesern ausdrücklich ,,[e]ine Vorliebe der Stärke für Fra-
gen, zu denen Niemand heute den Muth hat; de[n] Muth zum Verbotenen"
(KSA 6, 167, 15 f.). Es gibt zur Sentenz 59, 6 f. in N.s Briefen mehrere Vorüberle-
gungen, die das Fehlen des Mutes stark an das sprechende Subjekt zurückbin-
den. So heißt es an Marie Baumgartner bereits am 02. 08. 1875, KSB 5, Nr. 475,
S. 95, Z. 20-23: „Nun wächst jetzt in mir mancherlei auf und von Monat zu
Monat sehe ich einiges über meine Lebensaufgabe bestimmter, ohne noch den
Muth gehabt zu haben, es irgend Jemandem zu sagen." Manche Passagen
hören sich nach Selbstermutigung an, so an Overbeck am 08. 03. 1884, KSB 6,
Nr. 494, S. 485, Z. 17-19: „ich habe mir selber Muth machen müssen, da mir
von überall her nur die Entmuthigung kam: Muth zum Tragen jenes Gedan-
kens!" Eher verzagt klingt es im Brief an Overbeck vom 12. 02. 1887, KSB 8,
Nr. 798, S. 21, Z. 59 f.: „Wenn ich nur den Muth hätte, Alles zu denken, was
ich weiß.." Auch im Brief an Georg Brandes vom 02. 12. 1887, KSB 8, Nr. 960,
S. 206, Z. 31-34 dominiert noch nicht die Selbstgewissheit: „Es scheint mir
mehr am Muthe, am Stärkegrade seines Muthes gelegen, was ein Mensch
bereits für ,wahr' hält oder noch nicht... (Ich habe nur selten den Muth zu
dem, was ich eigentlich weiß)".
Eine Notiz aus NL 1887, KSA 12, 9[123], 407, 26-408, 4 (korrigiert nach KGW
IX 6, W II 1, 45, 1-12) stellt den Zusammenhang mit der Nihilismusproblematik
her: „Zur Genesis des Nihilisten. / Man hat nur spät den Muth zu dem,