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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0246
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Stellenkommentar GD Sprüche, KSA 6, S. 59 227

kommt Dionysos in Frage, vgl. GD Was ich den Alten verdanke 5, KSA 6, 160,
29.

4
59, 13 f. „Alle Wahrheit ist einfach." — Ist das nicht zwiefach eine Lüge?) Die
in Anführungszeichen gesetzte Sentenz klingt zwar nach einer Grundlagenbe-
hauptung der abendländischen Metaphysik, bei deren Vertretern sie sich aber
nicht nachweisen lässt, dafür — nach Large 1998, 84, ohne genaue Quellenan-
gabe — beim niederländischen Mediziner Hermann Boerhaave (1668-1738).
Variationen des Themas finden sich z. B. bei Euripides: Phoenissae 469; Marius
Victorinus: Adversus Arium I 43; La Bruyere: Characteres, Les esprits forts 22
(VII); Schopenhauer: Parerga II 15: Über Religion, § 175 („Ist doch simplex
sigillum veri: die nackte Wahrheit muß so einfach und faßlich seyn, daß man
sie in ihrer wahren Gestalt Allen muß beibringen können, ohne sie mit Mythen
und Fabeln (einem Schwall von Lügen) zu versetzen, — d. h. als Religion
zu vermummen" — Schopenhauer 1873-1874, 6, 361) sowie Teichmüller 1882,
350 („Die Handlungsweise des Guten ist einfach und Einfachheit ist auch der
Charakter der Wahrheit.").
In den nachgelassenen „Sprüchen eines Hyperboreers" folgte auf die Fest-
stellung (dort keine Frage!), die Sentenz sei eine zwiefache Lüge, noch eine
Erläuterung: „Alles, was einfach ist, ist bloß imaginär, ist nicht ,wahr'. Was
aber wirklich, was wahr ist, ist weder Eins, noch auch nur reduzirbar auf Eins."
(NL 1888, KSA 13, 15[118], 478, 28-479, 2). Die äußerste Verknappung der defini-
tiven Fassung in GD und die Ersetzung der Feststellung durch die Frage, ob
dies eine zwiefache Lüge sei, dient der Verrätselung und provoziert den Leser
zu mancherlei Mutmaßungen, worin denn die zwiefache Lüge bestehen
könnte — und ob die als Frage kaschierte Behauptung, die Sentenz sei zwie-
fach eine Lüge, nicht selbst wieder eine einfache Wahrheit zu sein bean-
sprucht. Weiter in die wahrheitstheoretische Diskussion dringen zwei Nach-
lassstellen ein, die das „simplex sigillum veri" im Sinne eines Prinzips der
Einfachheit deuten und zurückweisen (NL 1887, KSA 12, 9[91], 386 f. = KGW IX
6, W II 1, 69, 28-40-70, 2-30; NL 1888, KSA 13, 18[13], 535). An der ersten
Nachlassstelle ist ausdrücklich Descartes der Gegenspieler; sie dokumentiert
die Auseinandersetzung mit Otto Liebmanns Gedanken und Thatsachen (1882,
56 und 94). In diesem Umfeld ist auch die unmittelbare Anregung für 59, 13 f.
zu suchen, nämlich Liebmann 1882, 94: „Simplex sigillum veri. — Was
das wohl bedeuten soll? Weder ist alles Wahre einfach, noch alles Einfache
wahr. Es gibt äußerst dunkle, verwickelte, ja verworrene Wahrheiten und
 
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