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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0275
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256 Götzen-Dämmerung

Selbstaufhebung des Immoralismus (und der Moral!) zunächst unterblieb. In
der Notiz NL 1887, KSA 12, 10[107], 515, 15-21 (korrigiert nach KGW IX 6, W II
2, 65, 1-6, im Folgenden ohne durchgestrichene Passagen wiedergegeben) führt
sogar ein Ich das Wort, das sich noch nicht hinter dem großen Wort des Im-
moralismus (und hinter der Paradoxierung) verbirgt: „Ob ich damit der Tugend
geschadet habe?... Eben so wenig, als die Anarchisten den Fürsten: erst seit-
dem sie angeschossen werden, sitzen sie wieder fest auf ihrem Throne... —
Denn so stand es immer und wird es stehen: man kann einer Sache nicht
besser nützen als indem man sie verfolgt und mit allen Hunden hetzt... Dies —
habe ich gethan."
„Wir Immoralisten" artikulieren sich erstmals in M Vorwort 4, KSA 3,
16, 28 und in JGB 226, KSA 5, 162, 2. Die Selbstbezeichnung N.s als Immoralist
ist im Spätwerk sehr häufig und wird bald auch adaptiert, vgl. z. B. den Titel
von Andre Gides Roman L'Immoraliste (1902). In EH Warum ich ein Schicksal
bin 4, KSA 6, 367 f. gibt N. eine Definition der doppelten Verneinung, die der
Begriff „Immoralist" impliziere: nämlich die Verneinung des bisher als gut
Geltenden, zum anderen der decadence- und Christentumsmoral. Zur Begriffs-
geschichte des keineswegs erst von N. erfundenen „Immoralismus" vgl. NK
KSA 6, 367, 27-368, 1.
37
65, 9-11 Du läufst voran? — Thust du das als Hirt? oder als Ausnahme? Ein
dritter Fall wäre der Entlaufene... Erste Gewissensfrage.] Dieser Abschnitt
sowie GD Sprüche und Pfeile 38 (65, 13-15) und 40 (65, 20 f.) gehen zurück
auf NL 1887, KSA 12, 10[145], 537, 15-538, 14 (korrigiert nach KGW IX 6, W II 2,
43, 18-48 u. 44, 25-42), wo freilich die Katechismus-Frageform noch fehlt und
die alternativen Antworten ausdrücklich als Wertgesichtspunkte des sprechen-
den Ichs ausgewiesen werden, während in der Druckfassung das Du die han-
delnde Person ist: „Gesichtspunkte für meine Werthe: ob aus der Fülle oder
aus dem Verlangen... ob man zusieht oder Hand anlegt... oder wegsieht, bei
Seite geht... ob auch die aufgestaute Kraft ,spontan' oder bloß reaktiv ange-
regt, angereizt... ob einfach aus Wenigkeit der Elemente oder aus überwälti-
gender Herrschaft über viele, so daß sie dieselben in Dienst nimmt, wenn sie
sie braucht... ob man Problem oder Lösung ist... ob vollkommen bei
der Kleinheit der Aufgabe oder unvollkommen bei dem Außerordentlichen
eines Ziels... ob man ächt oder nur Schauspieler, ob man als Schauspieler
ächt oder nur ein nachgemachter Schauspieler, ob man ,Vertreter' oder das
Vertretene selbst ist — ob ,Person' oder bloß ein Rendezvous von Personen...
 
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