Stellenkommentar GD Sokrates, KSA 6, S. 67 263
N. hatte sich die Platon-Übersetzung, in der sich Steinharts Anmerkung
findet, mehrfach in der Basler Universitätsbibliothek ausgeliehen (Crescenzi
1994, 412, 415, 424 u. 558) und für die Vorlesung benutzt (z. B. KGW II 4, 19).
Selbst war N. 1864 von Steinhart dem Bonner Platon-Forscher Karl Schaar-
schmidt als eine „tiefe, sinnige Natur" empfohlen worden, „schwärmerisch der
Philosophie, namentlich der platonischen, zugethan, in die er schon ziemlich
eingeweiht ist" (KGB I 4, 338). Wenn N.s früher Gegner Ulrich von Wilamowitz-
Moellendorff in seinem späteren, monumentalen Platon-Buch sich dagegen
verwahrt, dass in Sokrates' letzte Worte „alles Mögliche hineingeheimnißt"
werde, während Sokrates doch nur seine ganz irdischen Schulden habe beglei-
chen wollen (Wilamowitz 1919, 1, 178), muss sich das keineswegs, wie mitunter
behauptet (vgl. Large 1998, 87), direkt gegen N. richten. Vielmehr attackiert
Wilamowitz-Moellendorff eine ganze Auslegungstradition, die übrigens auf den
Scholien des Olympiodoros gründet (Lasaulx 1854, 94, Fn. 292).
67, 9-19 Was beweist das? Worauf weist das? — Ehemals hätte man gesagt
(— oh man hat es gesagt und laut genug und unsre Pessimisten voran!): „Hier
muss jedenfalls Etwas wahr sein! Der consensus sapientium beweist die Wahr-
heit." — Werden wir heute noch so reden? dürfen wir das? „Hier muss jeden-
falls Etwas krank sein" — geben wir zur Antwort: diese Weisesten aller Zeiten,
man sollte sie sich erst aus der Nähe ansehn! Waren sie vielleicht allesammt auf
den Beinen nicht mehr fest? spät? wackelig? decadents? Erschiene die Weisheit
vielleicht auf Erden als Rabe, den ein kleiner Geruch von Aas begeistert?...] KSA
14, 413 teilt zwei längere Vorarbeiten aus Heft W II 5, 50 (s. KGW IX 8, W II 5,
50, 40-52) und W II 5, 51 (s. KGW IX 8, W II 5, 51, 8-25 u. 44-50) zu dieser
Stelle mit, die statt „Pessimisten" direkt Schopenhauer beim Namen nennen
und die „wir" mit „Hyperboräern" bzw. (gestrichen) mit „Immoralisten" identi-
fizieren. Die Endfassung entkonkretisiert diese Zusammenhänge, wodurch
zugleich eine Gegenwartskritik (nämlich an Schopenhauer und seinen Anhän-
gern) in die Sphäre von Allgemeinheit und Zeitlosigkeit entrückt wird.
67, 11 unsre Pessimisten] Während N. Ausdrücke aus dem Wortfeld „Pessimis-
mus" im Spätwerk auch synonym mit solchen aus dem Wortfeld „Nihilismus"
gebraucht, also im Sinne von Verneinung des Lebenswillens, sind in 66, 11
wohl direkt Schopenhauer und seine Adepten gemeint, vgl. NK 67, 9-19. Zu N.s
Auseinandersetzung mit der im engeren Wortsinn pessimistischen Tradition
siehe Dahlkvist 2007.
67, 12 f. consensus sapientium] Diese „Übereinstimmung der Weisen" wird in
MA I 110 ins Feld geführt gegen die seit der Antike als Argument für die Exis-
tenz Gottes bemühte „Übereinstimmung der Völker". An dieser Stelle zitiert N.
auch die Zeilen aus Goethes Gedicht, auf die er in KSA 6, 67, 15 anspielt: „Uebri-
N. hatte sich die Platon-Übersetzung, in der sich Steinharts Anmerkung
findet, mehrfach in der Basler Universitätsbibliothek ausgeliehen (Crescenzi
1994, 412, 415, 424 u. 558) und für die Vorlesung benutzt (z. B. KGW II 4, 19).
Selbst war N. 1864 von Steinhart dem Bonner Platon-Forscher Karl Schaar-
schmidt als eine „tiefe, sinnige Natur" empfohlen worden, „schwärmerisch der
Philosophie, namentlich der platonischen, zugethan, in die er schon ziemlich
eingeweiht ist" (KGB I 4, 338). Wenn N.s früher Gegner Ulrich von Wilamowitz-
Moellendorff in seinem späteren, monumentalen Platon-Buch sich dagegen
verwahrt, dass in Sokrates' letzte Worte „alles Mögliche hineingeheimnißt"
werde, während Sokrates doch nur seine ganz irdischen Schulden habe beglei-
chen wollen (Wilamowitz 1919, 1, 178), muss sich das keineswegs, wie mitunter
behauptet (vgl. Large 1998, 87), direkt gegen N. richten. Vielmehr attackiert
Wilamowitz-Moellendorff eine ganze Auslegungstradition, die übrigens auf den
Scholien des Olympiodoros gründet (Lasaulx 1854, 94, Fn. 292).
67, 9-19 Was beweist das? Worauf weist das? — Ehemals hätte man gesagt
(— oh man hat es gesagt und laut genug und unsre Pessimisten voran!): „Hier
muss jedenfalls Etwas wahr sein! Der consensus sapientium beweist die Wahr-
heit." — Werden wir heute noch so reden? dürfen wir das? „Hier muss jeden-
falls Etwas krank sein" — geben wir zur Antwort: diese Weisesten aller Zeiten,
man sollte sie sich erst aus der Nähe ansehn! Waren sie vielleicht allesammt auf
den Beinen nicht mehr fest? spät? wackelig? decadents? Erschiene die Weisheit
vielleicht auf Erden als Rabe, den ein kleiner Geruch von Aas begeistert?...] KSA
14, 413 teilt zwei längere Vorarbeiten aus Heft W II 5, 50 (s. KGW IX 8, W II 5,
50, 40-52) und W II 5, 51 (s. KGW IX 8, W II 5, 51, 8-25 u. 44-50) zu dieser
Stelle mit, die statt „Pessimisten" direkt Schopenhauer beim Namen nennen
und die „wir" mit „Hyperboräern" bzw. (gestrichen) mit „Immoralisten" identi-
fizieren. Die Endfassung entkonkretisiert diese Zusammenhänge, wodurch
zugleich eine Gegenwartskritik (nämlich an Schopenhauer und seinen Anhän-
gern) in die Sphäre von Allgemeinheit und Zeitlosigkeit entrückt wird.
67, 11 unsre Pessimisten] Während N. Ausdrücke aus dem Wortfeld „Pessimis-
mus" im Spätwerk auch synonym mit solchen aus dem Wortfeld „Nihilismus"
gebraucht, also im Sinne von Verneinung des Lebenswillens, sind in 66, 11
wohl direkt Schopenhauer und seine Adepten gemeint, vgl. NK 67, 9-19. Zu N.s
Auseinandersetzung mit der im engeren Wortsinn pessimistischen Tradition
siehe Dahlkvist 2007.
67, 12 f. consensus sapientium] Diese „Übereinstimmung der Weisen" wird in
MA I 110 ins Feld geführt gegen die seit der Antike als Argument für die Exis-
tenz Gottes bemühte „Übereinstimmung der Völker". An dieser Stelle zitiert N.
auch die Zeilen aus Goethes Gedicht, auf die er in KSA 6, 67, 15 anspielt: „Uebri-