Stellenkommentar GD Fabel, KSA 6, S. 80-81 309
Im „Hahnenschrei" (80, 23 f.) kündigt sich zum einen der Morgen an, zum
anderen kündigt er die Treue zum alten Weltbild auf, das in 80, 6 christolo-
gisch konnotiert worden war: Bekanntlich krähte der Hahn nach der Verleug-
nung des Petrus (Matthäus 26, 74 u. Johannes 18, 27). Statt „Hahnenschrei des
Positivismus" (80, 23 f.) hieß es in der Vorarbeit W II 5, 64: „Hahnenschrei der
Vernunft" (KGW IX 8, W II 5, 64, 36, vgl. KSA 14, 415). Mit 80, 23 f. kommt die
Tageszeitenmetaphorik ins Spiel, die sich bis 81, 12 durchhält und die drei
vorangegangenen Irrtumsgeschichtsstationen als Nacht erscheinen lassen —
trotz der bereits in 80, 16 nebelverhangenen Sonne. In abgewandelter Form
kehrt diese Tageszeitenmetaphorik in DD Die Sonne sinkt, KSA 6, 395-397 wie-
der.
Für den Positivismus, der mit dieser Entwicklungsphase des Denkens asso-
ziiert wird, steht (neben Comte) Roberty, bei dem N. beispielsweise folgende
Stelle mit einem „gut" am Rand quittiert hat (von N. Unterstrichenes hier kur-
siv): „Dans la premiere phase [...] la conception de l'incognoscible n'existait, ä
vrai dire, dans aucune des trois metaphysiques; le materialisme ramenait tous
les phenomenes ä la matiere, le sensualisme ä la sensation, l'idealisme ä Tidee
ou ä la representation. La theorie de l'incognoscible n'apparut et ne se deve-
loppa que lorsque, gräce au progres du savoir positif et au vague pressentiment
de la possibilite d'une autre explication de l'univers, tous les systemes eurent
reconnu, presque simultanement, leur impuissance." (Roberty 1887, 301. „Wäh-
rend der ersten Phase [...] gab es, streng genommen, die Konzeption des Uner-
kennbaren in keiner der drei Metaphysiken; der Materialismus führte jedes Phä-
nomen auf die Materie zurück, der Sensualismus auf die Empfindung, der
Idealismus auf die Idee oder Vorstellung. Die Theorie des Unerkennbaren
erschien und entwickelte sich erst, dank den Fortschritten des positiven Wis-
sens und einer vagen Ahnung über die Möglichkeit einer anderen Erklärung
für das Universum, nachdem alle Systeme fast gleichzeitig ihr Unvermögen
eingestanden hatten.").
81, 1-7 5. Die „wahre Welt" — eine Idee, die zu Nichts mehr nütz ist, nicht
einmal mehr verpflichtend, — eine unnütz, eine überflüssig gewordene Idee,
folglich eine widerlegte Idee: schaffen wir sie ab! / (Heller Tag; Frühstück;
Rückkehr des bon sens und der Heiterkeit; Schamröthe Plato's; Teufelslärm aller
freien Geister.)] Die Abschaffung der Idee einer „wahren Welt" folgt konsequent
aus ihrer Nutzlosigkeit — ob dies freilich rechtfertigt, diese Folgerung als
eigene Station in der Irrtumsgeschichte der „wahren Welt" zu vermeiden, sei
dahingestellt, denn in der Sache scheint mit der ausdrücklichen Abschaffung
der Idee ihrer Marginalisierung in 80, 19-24 wenig hinzugefügt zu werden.
So verdankt sich diese Station der Irrtumsgeschichte eher der erzählerischen
Symmetrie als der systematischen Notwendigkeit. Immerhin ist es kühn, aus
Im „Hahnenschrei" (80, 23 f.) kündigt sich zum einen der Morgen an, zum
anderen kündigt er die Treue zum alten Weltbild auf, das in 80, 6 christolo-
gisch konnotiert worden war: Bekanntlich krähte der Hahn nach der Verleug-
nung des Petrus (Matthäus 26, 74 u. Johannes 18, 27). Statt „Hahnenschrei des
Positivismus" (80, 23 f.) hieß es in der Vorarbeit W II 5, 64: „Hahnenschrei der
Vernunft" (KGW IX 8, W II 5, 64, 36, vgl. KSA 14, 415). Mit 80, 23 f. kommt die
Tageszeitenmetaphorik ins Spiel, die sich bis 81, 12 durchhält und die drei
vorangegangenen Irrtumsgeschichtsstationen als Nacht erscheinen lassen —
trotz der bereits in 80, 16 nebelverhangenen Sonne. In abgewandelter Form
kehrt diese Tageszeitenmetaphorik in DD Die Sonne sinkt, KSA 6, 395-397 wie-
der.
Für den Positivismus, der mit dieser Entwicklungsphase des Denkens asso-
ziiert wird, steht (neben Comte) Roberty, bei dem N. beispielsweise folgende
Stelle mit einem „gut" am Rand quittiert hat (von N. Unterstrichenes hier kur-
siv): „Dans la premiere phase [...] la conception de l'incognoscible n'existait, ä
vrai dire, dans aucune des trois metaphysiques; le materialisme ramenait tous
les phenomenes ä la matiere, le sensualisme ä la sensation, l'idealisme ä Tidee
ou ä la representation. La theorie de l'incognoscible n'apparut et ne se deve-
loppa que lorsque, gräce au progres du savoir positif et au vague pressentiment
de la possibilite d'une autre explication de l'univers, tous les systemes eurent
reconnu, presque simultanement, leur impuissance." (Roberty 1887, 301. „Wäh-
rend der ersten Phase [...] gab es, streng genommen, die Konzeption des Uner-
kennbaren in keiner der drei Metaphysiken; der Materialismus führte jedes Phä-
nomen auf die Materie zurück, der Sensualismus auf die Empfindung, der
Idealismus auf die Idee oder Vorstellung. Die Theorie des Unerkennbaren
erschien und entwickelte sich erst, dank den Fortschritten des positiven Wis-
sens und einer vagen Ahnung über die Möglichkeit einer anderen Erklärung
für das Universum, nachdem alle Systeme fast gleichzeitig ihr Unvermögen
eingestanden hatten.").
81, 1-7 5. Die „wahre Welt" — eine Idee, die zu Nichts mehr nütz ist, nicht
einmal mehr verpflichtend, — eine unnütz, eine überflüssig gewordene Idee,
folglich eine widerlegte Idee: schaffen wir sie ab! / (Heller Tag; Frühstück;
Rückkehr des bon sens und der Heiterkeit; Schamröthe Plato's; Teufelslärm aller
freien Geister.)] Die Abschaffung der Idee einer „wahren Welt" folgt konsequent
aus ihrer Nutzlosigkeit — ob dies freilich rechtfertigt, diese Folgerung als
eigene Station in der Irrtumsgeschichte der „wahren Welt" zu vermeiden, sei
dahingestellt, denn in der Sache scheint mit der ausdrücklichen Abschaffung
der Idee ihrer Marginalisierung in 80, 19-24 wenig hinzugefügt zu werden.
So verdankt sich diese Station der Irrtumsgeschichte eher der erzählerischen
Symmetrie als der systematischen Notwendigkeit. Immerhin ist es kühn, aus