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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0332
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Stellenkommentar GD Moral, KSA 6, S. 81 313

als Initiator der Idee namhaft gemacht (80, 6), in Absatz 3 wird auf Kant als
entscheidende Übergangsgestalt im ideengeschichtlichen Gefüge rekurriert
(80, 18), im 6. und letzten Abschnitt schließlich auf Zarathustra als
End(zeit)gestalt der Ideenentwicklung. Die nachträglichen Korrekturen (vgl. NK
81, 6) reichern die Geschichte, die ja eigentlich eine „Idee" zum Subjekt hat,
mit Personal an und machen sie so als Geschichte konkreter. Zu 81, 14 vgl.
auch Gooding-Williams 1995.

Moral als Widernatur
Die Abschnitte 4 bis 6 (85, 15-87, 29) sind früher geschrieben worden und
finden sich im Heft W II 5, 47-49 unter dem Titel „Moral als Typus der deca-
dence", während die Abschnitte 1 bis 3 (82, 2-85, 14) ursprünglich in Heft W
II 6, 43 f. notiert sind. In Mappe XVI 4 gibt es eine Abschrift der Abschnitte 1
und 2 unter der Überschrift „Schopenhauer und die Sinnlichkeit" — diese
Abschnitte enthalten in der Druckfassung keinen direkten Hinweis auf Scho-
penhauer mehr. In dieser Mappe finden sich in anderem Zusammenhang auch
die Abschnitte 4 bis 6 kopiert. Erst bei der Abfassung der Reinschrift im August
1888, aus der GD und AC hervorgingen, werden die davor unabhängigen Teile
(Abschnitte 4 bis 6 und 1 bis 3) zu einem Textganzen verschmolzen (KSA 14,
415).
Die erste Fassung der Abschnitte 1 bis 3 in Heft W II 6, 43 f. lautet: „Der
Sieg über die Stupidität in der Passion scheint mir der größte Sieg, der bisher
errungen worden ist: nämlich die Passion selbst festhalten, aber sie so mit
Geist, mit Feinheit, mit Vorsicht durchsäuern, daß aus ihr eine Wonne des
Daseins wird. Ehemals hatte man, wegen der Stupidität der Passion und der
ihr entspringenden schlimmen Folgen, einfach die Passion vernichten wollen,
was nur eine zweite Stupidität ist. Die Formel dafür steht im neuen Testament,
in jener berühmten Bergpredigt, wo aber die Dinge durchaus nicht aus der
Höhe betrachtet werden. Es liegt auf der Hand, daß die Vergeistigung der
Passion nicht einmal als Tendenz für solche Tschandala vorstellbar war: das
Wort ,Geist' selbst ist im neuen Testament ein bloßes Mißverständniß. Sie
kämpfen ja mit aller Kraft gegen die ,Intelligenten': kann man von ihnen
einen intelligenten Krieg gegen die Passion erwarten?... Deshalb ist, in jedem
Sinn der Kampf der Kirche gegen die Leidenschaft die Ausschneidung, der
Castratismus... Das Nachdenken der kirchl(ichen) Disciplin dreht sich immer
um diesen Punkt: wie vernichtet man die Begierde, den Stolz, die Herrsch-
sucht, die Habsucht?... Es liegt ebenfalls auf der Hand, daß dasselbe Mittel, die
Verschneidung, die Ausschneidung von denen gewählt werden wird, welche zu
 
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