Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0343
Lizenz: In Copyright

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
324 Götzen-Dämmerung

sicht, nämlich auf uns, während wir dieselben Handlungen, vorausgesetzt daß
sie sich auf Gegner des Gemeinwesens beziehen, ehren, fördern, durch Zucht
und Erziehung vorbereiten. Wären wir von jenem unverständigen Radikalism,
den sie uns empfehlen, Gesinnungen zu verbieten, (dh. eine Art Sein und
Fatum), so würden wir die Handhabe unserer Macht, unserer Selbsterhaltung
zerstören, - jene Gesinnung gerade, die wir am höchsten ehren und deren
unzweckmäßige Ausbrüche wir nun zu verhindern suchen und mit ihm dessen
oberste Voraussetzung verleugnen - eine Gesinnung, ein Herz, eine Leiden-
schaft, die wir mit den höchsten Ehren ehren. Wir verhüten durch unser De-
kret, daß diese Gesinnung auf eine unzweckmäßige Weise ausbricht und sich
Wege sucht, - wir sind klug, wenn wir uns solche Gesetze geben, wir sind
sittlich eben damit... Argwöhnen sie nicht, welche Opfer es uns kostet, wie
viel Zähmung, Selbstüberwindung, Härte gegen uns dazu Noth thut? Aber der
Gemeinsinn wird über uns Herr; bemerken Sie, das ist eine Definition des
Sittlichen" (KGW IX 8, W II 5, 48, 1-42-49, 2-8, vgl. KSA 14, 417 f.; NL 1888,
KSA 13, 18[8], 534 u. WzM2 281).
Die überarbeitete Fassung derselben Passage lautet: „Moral als Typus der
decadence [sic] / Wenn wir uns aus dem Instinkt der Gemeinschaft heraus
Vorschriften machen und gewisse Handlungen verbieten, so verbieten wir, wie
es Vernunft hat, nicht eine Art zu ,sein', nicht eine ,Gesinnung', sondern nur
eine gewisse Richtung und Nutzanwendung dieses ,Seins', dieser ,Gesinnung'.
Aber da kommt der Ideologe der Tugend, der Moralist, seines Wegs und sagt
,Gott sieht das Herz an! Was liegt daran, daß ihr euch bestimmter Handlungen
enthaltet; ihr seid darum nicht besser!' Antwort: mein Herr Langohr und
Tugendsam, wir wollen durchaus nicht besser sein, wir sind sehr zufrieden mit
uns, wir wollen uns nur nicht unter einander S chaden thun, - und deshalb
verbieten wir gewisse Handlungen, in einer gewissen Rücksicht, nämlich auf
uns, während wir dieselben Handlungen, vorausgesetzt daß sie sich auf Geg-
ner des Gemeinwesens - gegen Sie zum Beispiel - beziehend) (ehren und
fördern). Wir erziehen unsere Kinder auf sie [...] hin(,) wir züchten sie groß...
[...] Wären wir von jenem ,gottwohlgefälligen' Radikalism, den ihr heiliger
Aberwitz anempfiehlt, wären wir Mondkälber genug, [...] mit jenen Handlun-
gen ihre Quelle, das Herz(,) ,die Gesinnung' (zu) verurtheilen, so hieße das
unser Dasein (zu) verurtheilen und mit ihm seine oberste Voraussetzung (zu
verleugnen) - eine Gesinnung, ein Herz, eine Leidenschaft, die wir mit den
höchsten Ehren ehren. Wir verhüten durch unser Dekret, daß diese Gesinnung
auf eine unzweckmäßige Weise ausbricht und sich Wege sucht, - wir sind
klug, wenn wir uns solche Gesetze geben, wir sind damit auch sittlich...
Argwöhnen Sie nicht, von Ferne wenigstens(,) welche Opfer es uns kostet, wie
viel Zähmung, Selbstüberwindung, Härte gegen uns dazu Noth thut? Wir sind
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften