Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0344
Lizenz: In Copyright

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar GD Moral, KSA 6, S. 85 325

vehement in unseren Begierden, es giebt Augenblicke, wo wir uns auffressen
möchten... Aber der Gemeinsinn wird über uns Herr: bemerken Sie doch, das
ist beinahe eine Definition de(r) Sittlichkeit" (KGW IX 8, W II 5, 48, 1-42-49,
2-8). In Mp XVI 4 war dieser Abschnitt mit den Worten „Dies die Rede eines
moralischen Naturalisten" mit dem nachfolgenden Text, jetzt also GD Moral
als Widernatur 4 bis 6 verbunden.
Der Begriff des Gemeinsinns, sensus communis oder common sense, der in
der britischen Philosophie der Aufklärung dazu diente, die allen Menschen
gemeinsame (freilich durch Erfahrung erworbene) Einsicht in grundlegende
moralische Prinzipien zu bezeichnen, bekommt in der Vorstufe KSA 14, 417 f.
die Bedeutung eines Sinns, der gemein macht, nämlich Ausnahmeindividuen
durch moralischen Zwang an die Mehrheitsempfindungen anpasst.
4
85, 16-18 Jeder Naturalismus in der Moral, das heisst jede gesunde Moral ist
von einem Instinkte des Lebens beherrscht] Überlegungen im späten Nachlass
entwickeln den Begriff des Naturalismus noch deutlicher, vgl. z. B. NL 1887,
KSA 12, 9[86], 380, 6-14 (korrigiert nach KGW IX 6, W II 1, 79, 22-34): „mora-
listischer Naturalismus: Rückführung des scheinbar emancipirten,
übernatürlichen Moralwerthes auf seine ,Natur': dh. auf die natürliche
Immoralität, auf die natürliche ,Nützlichkeit' usw. / Ich darf die Tendenz
dieser Betrachtungen als moral(istischen) Nat(uralismus) bezeich-
nen: meine Aufgabe ist, die scheinbar emancipirten und naturlos geworde-
nen Moralwerthe in ihre Natur zurückzuübersetzen — dh. in ihre natürliche
,Immoralität'". Demgegenüber sind in NL 1888, KSA 13, 15[5], 403 die als
„Moralisten" agierenden Philosophen diejenigen, die „den Naturalismus der
Moral" untergraben. In der Notiz NL 1888, KSA 13, 16[73], 509, 17 ist die „Entna-
türlichung" das Gegenstück zum „Naturalismus der Moral" — diese „Entna-
türlichung der Natur-Werthe" (AC 25, KSA 6, 193, 11) ist wiederum die Quint-
essenz, die N. aus der Lektüre von Julius Wellhausens Prolegomena zur
Geschichte Israels zog, und zwar als das Charakteristikum der Entwicklung,
die Israel durchlaufen hat. N. verallgemeinert die historische Fallbeschreibung
zu einem allgemeinen Verfallsschema, vgl. Sommer 2000a, 234 f. u. 245 f.
Meyer 1885-1892, 12, 10 vermerkt: „Im philosophischen Sinn bezeichnet N[atu-
ralismus] die Verwerfung aller Glaubenssätze, von deren Gültigkeit man sich
nicht durch eignes Denken überzeugt hat, und unterscheidet sich vom (theolo-
gischen) Rationalismus dadurch, daß er die Thatsache der Offenbarung selbst
leugnet, während dieser sich nur das Recht zur Prüfung der geoffenbarten
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften