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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0349
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330 Götzen-Dämmerung

salverhältnis an, wo wir entdecken, dass zwei Erscheinungen dergestalt mit
einander verknüpft sind, dass die eine unvermeidlich eintritt, wenn die
andre gegeben ist." (Höffding 1887, 263) Höffding wendet sich gegen Hume,
der meinte, wir könnten einem Ding weder ansehen, ob es Ursache oder Wir-
kung sei, noch solches aus seinem Begriff schließen. Höffding hält dagegen,
„dass wir überhaupt ein Ding nur kennen, insofern es Ursache
oder Wirkung ist. Die Dinge sind uns stets als Glieder eines Zusammen-
hangs gegeben." (Ebd., 264. Passus von N. mit Randstrich markiert, von ihm
Unterstrichenes kursiviert.) Ihn interessiert dann insbesondere der „psycho-
logische[.] Ursprung des Kausalbegriffs" (ebd., 269): Ein prak-
tisch-pragmatisches Interesse sei bei Kausalannahmen zunächst leitend: „Der
Instinkt der Selbsterhaltung führt von Anfang an zur Erkenntnis der
Aussenwelt: Not lehrt denken, ebensowohl wie sie beten lehrt." (Ebd.) Dabei
kämen Kausalannahmen auf allen Entwicklungsstufen des Menschen vor;
„das, worin man die Ursache sucht, kann aber höchst verschieden sein. Was
man auf den verschiednen Stufen der geistigen Entwickelung als gute und
triftige Ursachen betrachtet, beruht auf dem eingenommenen Standpunkt im
ganzen." (Ebd., 270. Kursiviertes von N. unterstrichen.) „Solange die Götter
der Mythologie oder ähnliche Wesen dem Bewusstsein als Realitäten gelten,
gewähren sie vortreffliche und leicht anwendbare Mittel zur Befriedigung des
Dranges nach Kausalität." (Ebd., 271) N. differenziert nun vor diesem Hinter-
grund die verschiedenen Irrtumsmöglichkeiten, die dem (nach Höffding vom
mythologischen nur graduell getrennten) wissenschaftlichen Kausalbegriff
entgegenstehen: „Der wissenschaftliche Kausalbegriff wird
dadurch charakterisiert, dass man die Erklärung einer
Naturerscheinung durch deren Zurückführung auf einen
Kreis andrer Naturerscheinungen findet." (Ebd.) Wie weit sich die-
ser Naturalismus dann mit und bei N. noch halten lässt, muss hier offen blei-
ben. Jedenfalls ist auffällig, dass das Kapitel GD Die vier grossen Irrthümer wie
selbstverständlich nicht nur mit dem bestimmten Artikel operiert, als ob es
keine anderen möglichen großen Irrtümer gäbe, sondern auch eine prinzipielle
Problematisierung des Kausalitätsdenkens unterlässt, am Schema der Kausali-
tät also festhält und falsche Ursachenannahmen verwirft, aber nicht bezwei-
felt, dass es so etwas wie Ursachen prinzipiell geben muss. In NL 1885/86,
2[83], KSA 12, 101-103 (KGW IX 5, W I 8, 131) hatte er demgegenüber vor der
Höffding-Lektüre noch den Verzicht auf Kausalitätsdenken überhaupt erwogen.
Eine avancierte, systematische Darstellung von GD Die vier grossen Irrthü-
mer gibt Mauch 2009.
 
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