Stellenkommentar GD Irrthümer, KSA 6, S. 87-88 331
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88, 4 f. Es giebt keinen gefährlicheren Irrthum als die Folge mit der Ursa-
che zu verwechseln] Auch Herrmann 1887, 5 hält diese Verwechslung für
gängig, verzichtet aber sowohl darauf, sie zu generalisieren, als auch darauf,
sie für besonders gefährlich zu erachten: „Wir verwechseln die Wirkung:
Krankheit, mit der Ursache: Ansteckung, Verwundung, Verkühlung, Gemüths-
erregung, Trägheit, Uebermaß in sinnlichen Genüssen u. s. w., welche uns
eigentlich die Störung bereiteten."
88, 8 f. er trägt den Namen „Religion", „Moral".] Guyau 1887, 71 führt aus,
dass sowohl Wissenschaft als auch Religion ein Netz von Notwendigkeiten ent-
falteten, die Wissenschaft es aber im Unterschied zur Religion mit den realen
Ursachen der Phänomene zu tun habe.
88, 9-12 Jeder Satz, den die Religion und die Moral formulirt, enthält ihn;
Priester und Moral-Gesetzgeber sind die Urheber jener Verderbniss der Ver-
nunft. — Ich nehme ein Beispiel] Die Pointe besteht gerade darin, dass das
folgende Beispiel weder aus der Moral, noch aus der Religion, sondern aus der
Diätetik stammt — womit bewusst die Ebenen verwirrt und die Leser vor die
Frage gestellt werden, ob Diätetik zur Moral gehöre.
88, 12-14 Jedermann kennt das Buch des berühmten Cornaro, in dem er seine
schmale Diät als Recept zu einem langen und glücklichen Leben — auch tugend-
haften — anräth.] Overbeck hatte N. 1883 eine deutsche Übersetzung von Alvise
Luigi Cornaros (vermutlich 1467-1566) Bestseller Discorsi della vita sobria
(Padua 1558-1565) besorgt, nämlich die von Paul Sembach unter dem Titel Die
Kunst, ein hohes und gesundes Alter zu erreichen, herausgegebene (Cornaro o. J.
[1881], siehe NPB 172): „der treffliche Cornaro — Wasser auf meine Mühle!
Vielleicht stelle ich einmal die eignen Erfahrungen zusammen; ich habe Viel
beobachtet und versucht und will auch noch den Lohn davon haben — das
bewußte ,lange und heitere Leben'." (N. an Overbeck, 27. 10. 1883, KSB
6, Nr. 470, S. 449 f., Z. 2-6) Burckhardts Cultur der Renaissance behandelt
Cornaro recht eingehend (vgl. Venturelli 203, 132) und druckt einen längeren
Auszug aus den Discorsi della vita sobria ab (Burckhardt 1930a, 5, 242-244).
88, 12-14 liest sich wie eine Paraphrase von Burckhardt 1930a, 5, 242: „In
seinem berühmten Tractat ,vom mäßigen Leben' schildert er zunächst die
strenge Diät, durch welche es ihm gelungen, nach früherer Kränklichkeit ein
gesundes und hohes Alter, damals von 83 Jahren zu erreichen". Der Artikel in
Meyers Konversations-Lexikon nimmt die auch bei Burckhardt stehende Wen-
dung „bekannter Lebensphilosoph" (Burckhardt 1930a, 5, 242) auf und resü-
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88, 4 f. Es giebt keinen gefährlicheren Irrthum als die Folge mit der Ursa-
che zu verwechseln] Auch Herrmann 1887, 5 hält diese Verwechslung für
gängig, verzichtet aber sowohl darauf, sie zu generalisieren, als auch darauf,
sie für besonders gefährlich zu erachten: „Wir verwechseln die Wirkung:
Krankheit, mit der Ursache: Ansteckung, Verwundung, Verkühlung, Gemüths-
erregung, Trägheit, Uebermaß in sinnlichen Genüssen u. s. w., welche uns
eigentlich die Störung bereiteten."
88, 8 f. er trägt den Namen „Religion", „Moral".] Guyau 1887, 71 führt aus,
dass sowohl Wissenschaft als auch Religion ein Netz von Notwendigkeiten ent-
falteten, die Wissenschaft es aber im Unterschied zur Religion mit den realen
Ursachen der Phänomene zu tun habe.
88, 9-12 Jeder Satz, den die Religion und die Moral formulirt, enthält ihn;
Priester und Moral-Gesetzgeber sind die Urheber jener Verderbniss der Ver-
nunft. — Ich nehme ein Beispiel] Die Pointe besteht gerade darin, dass das
folgende Beispiel weder aus der Moral, noch aus der Religion, sondern aus der
Diätetik stammt — womit bewusst die Ebenen verwirrt und die Leser vor die
Frage gestellt werden, ob Diätetik zur Moral gehöre.
88, 12-14 Jedermann kennt das Buch des berühmten Cornaro, in dem er seine
schmale Diät als Recept zu einem langen und glücklichen Leben — auch tugend-
haften — anräth.] Overbeck hatte N. 1883 eine deutsche Übersetzung von Alvise
Luigi Cornaros (vermutlich 1467-1566) Bestseller Discorsi della vita sobria
(Padua 1558-1565) besorgt, nämlich die von Paul Sembach unter dem Titel Die
Kunst, ein hohes und gesundes Alter zu erreichen, herausgegebene (Cornaro o. J.
[1881], siehe NPB 172): „der treffliche Cornaro — Wasser auf meine Mühle!
Vielleicht stelle ich einmal die eignen Erfahrungen zusammen; ich habe Viel
beobachtet und versucht und will auch noch den Lohn davon haben — das
bewußte ,lange und heitere Leben'." (N. an Overbeck, 27. 10. 1883, KSB
6, Nr. 470, S. 449 f., Z. 2-6) Burckhardts Cultur der Renaissance behandelt
Cornaro recht eingehend (vgl. Venturelli 203, 132) und druckt einen längeren
Auszug aus den Discorsi della vita sobria ab (Burckhardt 1930a, 5, 242-244).
88, 12-14 liest sich wie eine Paraphrase von Burckhardt 1930a, 5, 242: „In
seinem berühmten Tractat ,vom mäßigen Leben' schildert er zunächst die
strenge Diät, durch welche es ihm gelungen, nach früherer Kränklichkeit ein
gesundes und hohes Alter, damals von 83 Jahren zu erreichen". Der Artikel in
Meyers Konversations-Lexikon nimmt die auch bei Burckhardt stehende Wen-
dung „bekannter Lebensphilosoph" (Burckhardt 1930a, 5, 242) auf und resü-