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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0357
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338 Götzen-Dämmerung

begnügen und auf das Denken verzichten. Das Wesen des Vitalismus besteht
darin, dass wir den allein richtigen Weg der Erkenntniss einschlagen, dass wir
ausgehen von dem Bekannten, von der Innenwelt, um das Unbekannte zu erklä-
ren, die Aussenwelt. Den umgekehrten und verkehrten Weg schlägt der Mecha-
nismus ein — der nichts anderes ist als der Materialismus — er geht von dem
Unbekannten aus, von der Aussenwelt, um das Bekannte zu erklären, die
Innenwelt." (Bunge 1886, 19; die von Bunge kursivierte Passage von N. mit vier
Randstrichen markiert).
91, 7-9 Und gar das Ich! Das ist zur Fabel geworden, zur Fiktion, zum Wort-
spiel: das hat ganz und gar aufgehört, zu denken, zu fühlen und zu wollen!] Vgl.
NK 77, 15-26. Gegen die neuzeitliche Metaphysik, die seit Descartes das Ich als
einfaches, denkendes Ding (res cogitans) zu konzeptualisieren pflegte, das als
geistige Wirkursache agieren soll, wandte schon Hume ein, dass das Ich nichts
mehr als ein Bündel von perceptions, Empfindungen sei (David Hume: A Trea-
tise of Human Nature, Buch I, Teil IV, Abschnitt 6: „I may venture to affirm of
the rest of mankind, that they are nothing but a bündle or Collection of diffe-
rent perceptions, which succeed each other with an inconceivable rapidity, and
are in a perpetual flux and movement."). Höffding 1887, den N. in dieser Frage
eingehend konsultiert (vgl. NPB 300), versucht dagegen ausdrücklich gegen
Hume, das Ich als die alle Vorstellungen umfassende Einheit und „vereinende
Kraft" (Höffding 1887, 170) zu verstehen: „In der Einheit, welche die verschied-
nen Empfindungen und Vorstellungen umfasst und zusammenfasst, und wel-
che deren Wechselwirkung ermöglicht, liegt der Keim des Begriffes des
Ich oder des Selbst. Dieser Begriff hat deshalb eine so tiefe Grundlage,
wie irgend ein psychologischer Begriff sie haben kann, da er die eigentliche
Grundform und Grundbedingung des Bewusstseinslebens ausdrückt. Die /169/
Schwierigkeiten, die man in diesem Begriff gefunden hat, rühren grossenteils
daher, dass man das Ich als etwas durchaus Einfaches gesucht hat, welches
also in einem gewissen bestimmten Zustand in einer gewissen bestimmten
Empfindung oder Vorstellung gegeben sein könnte." (Ebd., 168 f., Kursiviertes
von N. unterstrichen). „Die Natur des Ich legt sich in der Verbindung der Emp-
findungen, Vorstellungen und Gefühle und in den Formen und Gesetzen dieser
Verbindung an den Tag, also in Erinnerung und Vergleichung, von deren rein
elementaren und automatischen Formen an bis zu den höchsten und klarsten
Formen, die sie anzunehmen fähig sind." (ebd., 169) Dabei gibt Höffding zu,
„dass die Einheit, die Synthese, nicht absolut, sondern stets relativ und
kämpfend" sei (ebd., 171; Kursiviertes von N. unterstrichen; am Blattrand
mit „gut" markiert).
N. unterläuft nun in GD Die vier grossen Irrthümer 3 Höffdings psychologi-
sche Restitution des Ich-Begriffs, indem er ihn einer Sprachkritik unterwirft:
 
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