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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0370
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Stellenkommentar GD Irrthümer, KSA 6, S. 94-95 351

Rückgangs und als Vorbote des Todes da." Zur „ewigen Lust des
Daseins", von der uns die „dionysische Kunst" überzeugen wolle, siehe GT 17,
KSA 1, 109 u. NK KSA 1, 109, 2-4.
95, 3-8 Die Moral und Religion gehört ganz und gar unter die Psychologie
des Irrthums: in jedem einzelnen Falle wird Ursache und Wirkung verwech-
selt; oder die Wahrheit mit der Wirlaing des als wahr Geglaubten verwechselt;
oder ein Zustand des Bewusstseins mit der Ursächlichkeit dieses Zustands ver-
wechselt.] In W II 7, 37 lautete der Passus: „Der glückliche Ausgang einer Unter-
nehmung macht den Melancholiker nicht glücklich; und ein hoher Verlust
überwölkt nicht die überschäumende Heiterkeit eines Benvenuto Cellini" (KSA
14, 419). Die Wendung „Psychologie des Irrthums", die hier in einem Werk N.s
zum einzigen Mal auftaucht, wird in den Vorarbeiten zum „Willen zur Macht"
gerne als Kapitelüberschrift benutzt, erstmals aber schon in NL 1883/84, KSA
10, 24[9], 647, 22, ebenfalls in kausalitätskritischem Zusammenhang. Immerhin
ist interessant zu sehen, dass N.s Wendung — natürlich ohne entsprechende
Herkunftskennzeichnung — heute ganz selbstverständlich in der Analytischen
Philosophie verwendet wird (vgl. z. B. Puster 1997, 45) und schon vor 100 Jah-
ren im Kampf gegen den Monismus in Stellung gebracht wurde (Volkmann
1910, 29 f.).

7
Vgl. JGB 21, KSA 5, 35 f.
95, 10 Irrthum vom freien Willen.] Vgl. Guyau 1887, 384 und Höffding
1887, 437-439. Insbesondere Alexandre Herzen behandelt in seinem von N. stu-
dierten Werk Le cerveau et l'activite cerebrale au point de vue psycho-physiologi-
que explizit die „illusion du libre arbitre" (Herzen 1887, 173-196, vgl. Wahrig-
Schmidt 1988, 460 f.), und N.s ehemaliger Freund Paul Ree betitelt seine letzte
selbst veröffentlichte Schrift von 1885: Die Illusion der Willensfreiheit. Ihre Ursa-
chen und ihre Folgen (Ree 2004, 355-384), während Richet 1884, 528 (Seite von
N. markiert) mit Henry Maudsley zu bedenken gibt, dass sich der Mensch dann
am Freiesten fühle, wenn er am Unfreiesten ist: nämlich betrunken, verrückt
oder träumend. Der freie Wille war ein Zeitthema: Papst Leo XIII. widmete ihm
am 20. Juni 1888 die Enzyklika De libertate humana, in der er einerseits die
christlich-katholische Auffassung der Willensfreiheit gegen herkömmliche und
modernistische Anfeindungen verteidigte, andererseits die angeblichen Gottlo-
sigkeiten „Rationalismus", „Liberalismus" und „Sozialismus" zurückwies (Leo
XIII. o. J. a, 26-29).
 
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