Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0372
Lizenz: In Copyright

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar GD Irrthümer, KSA 6, S. 95-96 353

Wagner. Falschmünzerei ist das negative Gegenstück zu der von N. selbst zum
Programm gemachten „Umwerthung aller Werthe": Gemeinsamer Referenz-
punkt der beiden Wendungen ist der zweideutige Bericht bei Diogenes Laertius
(De vitis VI 20) über den Kyniker Diogenes von Sinope (ca. 391-323 v. Chr.): wg
napaxapd^at to voptopa, „er habe das Geltende umgeprägt" oder „er habe die
Münze ver-/gefälscht". Nöptopa ist doppelsinnig; es kann sowohl „Münze",
als auch „Wert(ordnung)" bedeuten, eine Verwechslung, vor der der Kyniker
Diogenes selber nicht gefeit ist: „Einige behaupten, er sei zum Aufseher
gemacht worden und habe sich von den Werkleuten bereden lassen, nach Del-
phi oder nach Delos, der Heimat des Apollon, zum delischen Tempel sich zu
begeben, um dort anzufragen, ob er das vornehmen dürfe, wozu man ihn auf-
fordere (nämlich eine Änderung des Nomisma). Als der Gott es erlaubte, näm-
lich eine Änderung der staatlichen Ordnung (noÄtTiKov vöptopa) überhaupt
(nicht aber der Münze, vöptopa), fasste er es anders auf, fälschte die Münze,
ward gefasst und musste, wie einige vermeiden, in die Verbannung gehen."
(Diogenes Laertius: De vitis VI 20, Übersetzung Otto Apelt; vgl. Niehues-Pröbs-
ting 1988, 333-336; ders. 1980, 121 f. u. Sommer 2000a, 152-159). Eine übertra-
gene Begriffsverwendung von Falschmünzerei ist auch in modernem Kontext
keine Neuerung N.s; z. B. auch Caspari 1876, 224 spricht von „begriffliche[r]
Falschmünzerei".
96, 6-9 Theologen, welche fortfahren, mit dem Begriff der „sittlichen Weltord-
nung" die Unschuld des Werdens durch „Strafe" und „Schuld" zu durchseuchen.)
Vgl. AC 25, 194, 9-11, wo die „sittliche Weltordnung" für die Umkehrung des
„Naturbegriff[s] ,Ursache' und ,Wirkung'" verantwortlich gemacht wird. Sie
lässt sich offenbar in beide „Irrthümer" eingruppieren (AC 38, KSA 6, 210, 19 f.
noch einmal mit dem freien Willen). Zum Begriff der „sittlichen Weltordnung"
vgl. NK KSA 6, 194, 8-11; 195, 10-19 u. 358, 29-33; zur „Unschuld des Werdens"
vgl. NK 96, 32-97, 5.
96, 9 f. eine Metaphysik des Henkers] Im Druckmanuskript noch: „die Meta-
physik der Rache" (KSA 14, 419). In Schopenhauers Die Welt als Wille und
Vorstellung, Bd. 2, Buch 4, Kap. 46 hatte es geheißen: „ein Marterinstrument ist
das Symbol des Christenthums" (Schopenhauer 1873, 3, 671). In den Dionysos-
Dithyramben kann freilich auch Dionysos als „Henker-Gott" erscheinen, vgl.
NK KSA 6, 399, 31. Aus der Grausamkeit eines Gottes folgt für N. noch kein
prinzipieller Einwand gegen eine solche Gottesvorstellung.
8
96, 16 „intelligible Freiheit" von Kant, vielleicht auch schon von Plato gelehrt
worden] Vgl. MA I 39, KSA 2, 62-64. Dazu heißt es in der Vorstufe schon, Platon
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften