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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0385
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366 Götzen-Dämmerung

Aegypticismus; aber selbst Plato scheint mir in allen Hauptpunkten einfach
bloß gut belehrt durch einen Brahmanen. Die Juden erscheinen dabei wie
eine Tschandala-Rasse, welche von ihren Herren die Principien lernt, auf die
hin eine Priesterschaft Herr wird und ein Volk organisirt... Auch die Chine-
sen scheinen unter dem Eindruck dieses klassischen uralten Gesetz-
buchs ihren Confucius und Laotse hervorgebracht zu haben. Die mittelalterli-
che Organisation sieht wie ein wunderliches Tasten aus, alle die Vorstellungen
wieder zu gewinnen, auf denen die uralte indisch-arische Gesellschaft ruhte —
doch mit pessimistischen Werthen, die ihre Herkunft aus dem Boden der
Rassen-decadence haben. — Die Juden scheinen auch hier bloß ,Vermittler' —
sie erfinden nichts."
Eine nüchterne philologisch-historische Analyse ergibt freilich, dass es
sich bei Jacolliots sogenannter Übersetzung um das dubiose Machwerk einer
fanatisierten Indienbegeisterung handelt, das in umfangreichen Anmerkungen
überaus sonderbare Geschichtstheorien ausbreitet, die auch ein fachlich nicht
versierter Leser sofort hätte entlarven müssen. Jacolliot beanspruchte, die wirk-
lich authentische, tamilische Fassung des Manu-Gesetzbuches erstmals zu pu-
blizieren, während er jedoch in Wahrheit entweder eine vollständig verdor-
bene, spät redigierte Handschrift vorliegen hatte, oder aber selber den Text
nach Gutdünken zurechtschusterte. Etter 1987 weist nach, dass ein Großteil
der von N. in GD und AC zitierten Sätze nur bei Jacolliot, nicht aber in den der
Wissenschaft bekannten Manuskripten vorkommt.
100, 5-8 Hier ist die Aufgabe gestellt, nicht weniger als vier Rassen auf einmal
zu züchten: eine priesterliche, eine kriegerische, eine händler- und ackerbaueri-
sche, endlich eine Dienstboten-Rasse, die Sudras.] Vgl. Jacolliot 1876, 2 f.: Les
quatre castes sont: Les Brahmes ou pretres; / Les Xchatrias ou rois; / Les Vay-
sias ou marchands et cultivateurs; /3/ Les Soudras ou esclaves." („Die vier
Kasten sind: die Brahmana oder Priester; die Satria oder Könige; die Wesia
oder Händler und Bauern; die Sudra oder Sklaven.") NL 1888, KSA 13, 14[224],
396, 28-30 (KGW IX 8, W II 5, 3, 2-6) und 16[60], 506, 17-19 reflektieren die
soziale Stellung der Sudra.
100, 13 f. Wie armselig ist das „neue Testament" gegen Manu, wie schlecht
riecht es!] Vgl. NK KSA 6, 223, 22-25 u. 239, 32-240, 3.
100, 17 f. dem Nicht-Zucht-Menschen, dem Mischmasch-Menschen, dem
Tschandala.] N. übernimmt die Bezeichnung „Tschandala", die hier in seinem
Werk zum ersten Mal auftaucht, aus Jacolliot 1876: „Der offizielle Begriff des
Tschandala ist genau der eines Auswurf(s) und Excrement(s) der vor-
nehmen Classen..." (NL 1888, KSA 13, 14[190], 378, 9 f., korrigiert nach KGW IX
8, W II 5, 19, 34-36) Im Mänava-Dharmasästra bezeichnet Candäla (so die
 
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