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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0412
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Stellenkommentar GD Streifzüge, KSA 6, S. 110-111 393

nern an (gar nicht zahme) Xenien. In der Notiz NL 1888, KSA 13, ll[409], 189
(korrigiert nach KGW IX 7, W II 3, 7, 39-42) tauchen zwar schon einige einschlä-
gige Namen auf, jedoch noch ohne die entsprechende Charakterisierung:
„Autoren, an denen heute noch Wohlgefallen zu haben, ein für alle Mal com-
promittirt: Rousseau, Schiller, George Sand, Michelet, Buckle, Carlyle, die imi-
tatio".
111, 3 f. Seneca: oder der Toreador der Tugend.] Schon in N.s frühen Lektü-
ren philosophiegeschichtlicher Werke herrscht ein negatives Bild des römi-
schen Stoikers Seneca (ca. 4 v. Chr.-65 n. Chr.) vor, der in Cordoba — nachmals
einem Zentrum des Stierkampfes — geboren wurde und als Tugendwächter
gilt. So heißt es etwa bei Prantl 1854, 189: „So hat L. Annäus Seneca
[...] eine sehr lockere Moral in hohlen Declamationen voll pathetischer Ueber-
treibungen entwickelt; während er in tugendstolzen selbstgefälligen Phrasen
das Ideal des stoischen Weisen ausmalt, welchen jedoch vernünftiger Weise
auch das Glück mit seinen Gaben heimsuchen soll, empfiehlt er kluge
Schmiegsamkeit bei Hof, und ist mit den Mitteln nicht wählerisch, da ja das
Leben nur ein Schauspiel ist". Eine harsche Abrechnung mit Seneca hat N.
auch bei Foucher 1873, 100-102 gefunden, in einem Werk, das er zur Entste-
hungszeit von GD las (NL 1887/88, KSA 13, 11[62] -11[70], 30-33 = KGW IX 7, W
II 3, 168-170, 38-56 sind Foucher-Exzerpte, vgl. Campioni / Röllin / Trenkle
2008).
Toreador heißt der Stierkämpfer etwa in Bizets Carmen (und kommt bei
Foucher 1873, 330 auch in einem dort zitierten Stiergedicht vor). N.s Äußerun-
gen zu Seneca sind eher spärlich: In MA I 282, KSA 2, 230 wird er zu den
gegenwärtig beinahe ausgestorbenen „grossen Moralisten" gerechnet (vgl. auch
FW 122, KSA 3, 478); in FW Scherz, List und Rache 34, KSA 3, 360 f. heißt es
unter dem Titel: „Seneca et hoc genus omne. / Das schreibt und schreibt
sein unaus- / stehlich weises Larifari, / Als gält es primum scribere, / Deinde
philosophari." Danach würden Leute wie Seneca die von N. beispielsweise in
GD Was den Deutschen abgeht 6, KSA 6, 108, 24 f. exponierte methodische
Ordnung, dass das Denken dem Schreiben vorausgehen soll, gerade verkehren.
Das Bild von Seneca färbt sich im Nachlass der achtziger Jahre dunkler ein: In
NL 1884, KSA 11, 25[347], 103, 20 f. erscheint er als „Culmination der antiken
moralischen Verlogenheit". Doch Seneca ist nicht nur dem Moralkritiker (vgl.
auch NL 1887, KSA 12, 9[11], 344 = KGW IX 6, W II 1, 131, 24-34), sondern auch
dem philosophischen Schriftsteller N. zuwider: „Nichts ist mir widerlicher als
die lehrhafte Anpreisung der Philosophie, wie bei Seneca oder gar Cicero." (NL
1884, KSA 11, 26[452], 271, 3-5).
111, 4 f. Rousseau: oder die Rückkehr zur Natur in impuris naturalibus.] Dem
Genfer Philosophen Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) wird nachgesagt, er
 
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