Stellenkommentar GD Streifzüge, KSA 6, S. 112 407
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Vgl. die Vorstufe NL 1887/88, KSA 13, 11[9], 11 f. (KGW IX 7, W II 3, 196). Zur
Charakteristik des französischen Literaturkritikers Charles-Augustin Sainte-
Beuve (1804-1869) siehe auch Brandes 1887b, 221 f. (im Ton und in der Meta-
phorik abweichend) sowie, gerade im Hinblick auf Sainte-Beuves schwache
Natur, seine plebejische, priesterliche Art und seine Sinnlichkeit mitunter
ebenso kritisch wie N., jedoch immer respektvoll Hillebrand 1886c, 1-47. Die
Sainte-Beuve-Zitate in NL 1887/88, KSA 13, 11[69], 33 (KGW IX 7, W II 3, 168,
34-54) sind ein Exzerpt aus Foucher 1873, 399 und dort Bestandteil einer lan-
gen Sainte-Beuve-Abhandlung (Foucher 1873, 361-414). Ins Vorfeld von GD
Streifzüge eines Unzeitgemässen 3 gehören auch NL 1885, KSA 11, 38[5], 600
sowie NL 1884, KSA 11, 26[404], 257: „Sainte-Beuve — stille Wuth aller
feineren Franzosen über die ,furchtbare Dummheit' —: möchte gern verleug-
nen, daß ihm alle Philosophie fehlt, ebenso aller Charakter, ja sogar, was nach
Beiden nicht Wunder nimmt, aller feste Geschmack in artibus et litteris. Er
weiß weder mit den starken Seiten Voltaire's, noch mit Montaigne, Charron,
Chamfort, Larochefoucauld, Stendhal zurecht zu kommen: — Er ärgert sich
nämlich, mit einer Art Neid, über die Thatsache, daß diese Menschenkenner
alle auch noch einen Willen und Charakter im Leibe haben."
Auch das Journal des Goncourt verfährt mit Sainte-Beuve unbarmherzig,
vgl. die auch in KSA 14, 423 mitgeteilten Stellen: „La petite touche — c'est le
charme et la petitesse de la causerie de Sainte-Beuve. Point de hautes idees,
point de grandes expressions, point de ces images qui detachent en bloc une
figure. Cela est aiguise, menu, pointu, c'est une pluie de petites phrases qui
peignent, ä la longue, et par la superposition et l'amoncellement. Une conver-
sation ingenieuse, spirituelle mais mince; une conversation oü il y a de la
gräce, de l'epigramme, du gentil ronron, de la griffe et de la patte de velours.
Conversation, au fond, qui n'est pas la conversation d'un male superieur"
(Goncourt 1887, 2, 66; von N. Unterstrichenes kursiviert, doppelt Unterstriche-
nes kursiv und gesperrt; Strich und NB (?) am rechten Blattrand. „Das gewisse
Etwas - das ist der Charme und die Kleinkariertheit des Geplauders von Sainte-
Beuve. Absolut keine hohen Ideen, keine großen Ausdrücke, keines von diesen
Bildern, die en bloc eine Gestalt herausmodellieren. Es ist geschärft, zierlich,
spitz, ein Regenschauer aus kleinen Sätzen, die auf die Dauer und durch Über-
lagerung und Stapelung ein Bild malen. Eine geschickte Unterhaltung, geist-
reich, aber dünn; eine Unterhaltung, in welcher es Anmut, Epigramme, nettes
Gemurmel, Krallen und Pfoten aus Samt gibt. Eine Unterhaltung, die im
Grunde genommen nicht die Unterhaltung eines hervorragenden Männ-
chens ist."). „Voltaire amene chez Sainte-Beuve un eloge de Rousseau, dont
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Vgl. die Vorstufe NL 1887/88, KSA 13, 11[9], 11 f. (KGW IX 7, W II 3, 196). Zur
Charakteristik des französischen Literaturkritikers Charles-Augustin Sainte-
Beuve (1804-1869) siehe auch Brandes 1887b, 221 f. (im Ton und in der Meta-
phorik abweichend) sowie, gerade im Hinblick auf Sainte-Beuves schwache
Natur, seine plebejische, priesterliche Art und seine Sinnlichkeit mitunter
ebenso kritisch wie N., jedoch immer respektvoll Hillebrand 1886c, 1-47. Die
Sainte-Beuve-Zitate in NL 1887/88, KSA 13, 11[69], 33 (KGW IX 7, W II 3, 168,
34-54) sind ein Exzerpt aus Foucher 1873, 399 und dort Bestandteil einer lan-
gen Sainte-Beuve-Abhandlung (Foucher 1873, 361-414). Ins Vorfeld von GD
Streifzüge eines Unzeitgemässen 3 gehören auch NL 1885, KSA 11, 38[5], 600
sowie NL 1884, KSA 11, 26[404], 257: „Sainte-Beuve — stille Wuth aller
feineren Franzosen über die ,furchtbare Dummheit' —: möchte gern verleug-
nen, daß ihm alle Philosophie fehlt, ebenso aller Charakter, ja sogar, was nach
Beiden nicht Wunder nimmt, aller feste Geschmack in artibus et litteris. Er
weiß weder mit den starken Seiten Voltaire's, noch mit Montaigne, Charron,
Chamfort, Larochefoucauld, Stendhal zurecht zu kommen: — Er ärgert sich
nämlich, mit einer Art Neid, über die Thatsache, daß diese Menschenkenner
alle auch noch einen Willen und Charakter im Leibe haben."
Auch das Journal des Goncourt verfährt mit Sainte-Beuve unbarmherzig,
vgl. die auch in KSA 14, 423 mitgeteilten Stellen: „La petite touche — c'est le
charme et la petitesse de la causerie de Sainte-Beuve. Point de hautes idees,
point de grandes expressions, point de ces images qui detachent en bloc une
figure. Cela est aiguise, menu, pointu, c'est une pluie de petites phrases qui
peignent, ä la longue, et par la superposition et l'amoncellement. Une conver-
sation ingenieuse, spirituelle mais mince; une conversation oü il y a de la
gräce, de l'epigramme, du gentil ronron, de la griffe et de la patte de velours.
Conversation, au fond, qui n'est pas la conversation d'un male superieur"
(Goncourt 1887, 2, 66; von N. Unterstrichenes kursiviert, doppelt Unterstriche-
nes kursiv und gesperrt; Strich und NB (?) am rechten Blattrand. „Das gewisse
Etwas - das ist der Charme und die Kleinkariertheit des Geplauders von Sainte-
Beuve. Absolut keine hohen Ideen, keine großen Ausdrücke, keines von diesen
Bildern, die en bloc eine Gestalt herausmodellieren. Es ist geschärft, zierlich,
spitz, ein Regenschauer aus kleinen Sätzen, die auf die Dauer und durch Über-
lagerung und Stapelung ein Bild malen. Eine geschickte Unterhaltung, geist-
reich, aber dünn; eine Unterhaltung, in welcher es Anmut, Epigramme, nettes
Gemurmel, Krallen und Pfoten aus Samt gibt. Eine Unterhaltung, die im
Grunde genommen nicht die Unterhaltung eines hervorragenden Männ-
chens ist."). „Voltaire amene chez Sainte-Beuve un eloge de Rousseau, dont