448 Götzen-Dämmerung
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Ausführlicher wird das Darwin-Thema erläutert in NL 1888, KSA 13, 14[123],
303-305 (KGW IX 8, W II 5, 94-95) und 14[133], 315-317 (KGW IX 8, W II 5, 82-
83), wo noch Materialien verwoben sind, die schließlich in AC 3 und 4 (KSA
6, 170, 17-171, 17) eingehen. Rezeptionsgeschichtlich ist GD Streifzüge eines
Unzeitgemässen 14 immer wieder als Schlüsselstelle zur Erhellung von N.s
Denkmotiven insgesamt herangezogen worden, vgl. z. B. Rickert 1920, 97: „Die-
ser ,Anti-Darwin' überschriebene Aphorismus gewährt klaren Einblick in die
biologistischen Motive von N.s Denken. In der Steigerung des Lebenswillens
fand er als typischer Vertreter der neuesten Lebensphilosophie schließlich den
Sinn des Lebens überhaupt."
An GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 14 fällt auf, dass hier eine schein-
bar rein naturwissenschaftliche Beschreibung eines Sachverhalts gegeben
wird, während in den folgenden Abschnitten, insbesondere GD Streifzüge eines
Unzeitgemässen 33-36 der Eindruck entsteht, man habe sich der physisch
Schwachen zu entledigen — womit man, nimmt man GD Streifzüge eines
Unzeitgemässen 14 als wissenschaftliche Behauptung ernst, gegen die Natur
selbst verstieße. Die Frage ist freilich, ob die Schwachen, die nach GD Streif-
züge eines Unzeitgemässen 14 sich des Geistes bedienen, um obenauf zu kom-
men, mit den decadents und Lebensverneinern dieser späteren Abschnitte tat-
sächlich identisch sind, wie es NL 1888, KSA 13, 14[123], 303 f. (KGW IX 8, W
II 5, 94-95) nahelegt. Was wäre aus einem wissenschaftlichen Sachverhalt oder
einer besseren, antidarwinischen Theorie der Evolution zu gewinnen? Doch
offenbar gerade nicht der Ratschlag, sich auf die Seite der „Starken" zu schla-
gen (worin immer deren Stärke bestehen mag, sind sie doch gerade nicht stär-
ker als die „Schwachen", die sie besiegen), wenn es dem natürlichen Verlauf
der Dinge entspricht, dass die Schwachen obsiegen. Dass sie decadents seien,
ist vorerst nur ein unbewiesenes Werturteil, sind sie doch augenscheinlich den
evolutionären Erfordernissen, ihren Umweltbedingungen besser angemaßt als
die Starken.
Die von N. hier gestellte Frage, wie es um den Machtappetit der Schwachen
bestellt ist, hatte ihm auch Paul Michaelis in seiner JGB-Rezension vom 04. 12.
1886 mitgegeben: „Wenn nun einmal auch die ,Herde' sein [sc. N.s] Lebens-
prinzip, den Willen zur Macht, sich aneignen wollte?" (KGB III 7/3, 2, S. 865).
Bereits in NL 1881, KSA 9, 11[73], 469 polemisierte N. in Abgrenzung gegen
Herbert Spencers Vorstellung einer „Anpassung Aller an Alles", die er als
„tiefste Verkümmerung" verstand. Zum Diskussionkontext der „Anti-Darwin"-
Notate im späten Nachlass siehe Fornari 2009, 260-266.
120, 19-24 Anti-Darwin. — Was den berühmten [„] Kampf um's Leben"
betrifft, so scheint er mir einstweilen mehr behauptet als bewiesen. Er kommt vor,
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Ausführlicher wird das Darwin-Thema erläutert in NL 1888, KSA 13, 14[123],
303-305 (KGW IX 8, W II 5, 94-95) und 14[133], 315-317 (KGW IX 8, W II 5, 82-
83), wo noch Materialien verwoben sind, die schließlich in AC 3 und 4 (KSA
6, 170, 17-171, 17) eingehen. Rezeptionsgeschichtlich ist GD Streifzüge eines
Unzeitgemässen 14 immer wieder als Schlüsselstelle zur Erhellung von N.s
Denkmotiven insgesamt herangezogen worden, vgl. z. B. Rickert 1920, 97: „Die-
ser ,Anti-Darwin' überschriebene Aphorismus gewährt klaren Einblick in die
biologistischen Motive von N.s Denken. In der Steigerung des Lebenswillens
fand er als typischer Vertreter der neuesten Lebensphilosophie schließlich den
Sinn des Lebens überhaupt."
An GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 14 fällt auf, dass hier eine schein-
bar rein naturwissenschaftliche Beschreibung eines Sachverhalts gegeben
wird, während in den folgenden Abschnitten, insbesondere GD Streifzüge eines
Unzeitgemässen 33-36 der Eindruck entsteht, man habe sich der physisch
Schwachen zu entledigen — womit man, nimmt man GD Streifzüge eines
Unzeitgemässen 14 als wissenschaftliche Behauptung ernst, gegen die Natur
selbst verstieße. Die Frage ist freilich, ob die Schwachen, die nach GD Streif-
züge eines Unzeitgemässen 14 sich des Geistes bedienen, um obenauf zu kom-
men, mit den decadents und Lebensverneinern dieser späteren Abschnitte tat-
sächlich identisch sind, wie es NL 1888, KSA 13, 14[123], 303 f. (KGW IX 8, W
II 5, 94-95) nahelegt. Was wäre aus einem wissenschaftlichen Sachverhalt oder
einer besseren, antidarwinischen Theorie der Evolution zu gewinnen? Doch
offenbar gerade nicht der Ratschlag, sich auf die Seite der „Starken" zu schla-
gen (worin immer deren Stärke bestehen mag, sind sie doch gerade nicht stär-
ker als die „Schwachen", die sie besiegen), wenn es dem natürlichen Verlauf
der Dinge entspricht, dass die Schwachen obsiegen. Dass sie decadents seien,
ist vorerst nur ein unbewiesenes Werturteil, sind sie doch augenscheinlich den
evolutionären Erfordernissen, ihren Umweltbedingungen besser angemaßt als
die Starken.
Die von N. hier gestellte Frage, wie es um den Machtappetit der Schwachen
bestellt ist, hatte ihm auch Paul Michaelis in seiner JGB-Rezension vom 04. 12.
1886 mitgegeben: „Wenn nun einmal auch die ,Herde' sein [sc. N.s] Lebens-
prinzip, den Willen zur Macht, sich aneignen wollte?" (KGB III 7/3, 2, S. 865).
Bereits in NL 1881, KSA 9, 11[73], 469 polemisierte N. in Abgrenzung gegen
Herbert Spencers Vorstellung einer „Anpassung Aller an Alles", die er als
„tiefste Verkümmerung" verstand. Zum Diskussionkontext der „Anti-Darwin"-
Notate im späten Nachlass siehe Fornari 2009, 260-266.
120, 19-24 Anti-Darwin. — Was den berühmten [„] Kampf um's Leben"
betrifft, so scheint er mir einstweilen mehr behauptet als bewiesen. Er kommt vor,