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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0470
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Stellenkommentar GD Streifzüge, KSA 6, S. 120-121 451

Schlange, welche sich in ihren eigenen Schweif beißt" (ebd., 259 f.). Demge-
genüber sieht sich Büchner selbst durch die Darwinsche Theorie darin
bestärkt, „daß diese Ansicht vom ewigen Stillstand oder, besser gesagt, von
der ewigen Bewegung oder Verwandlung, vom ewigen Wechsel ohne Fort-
schritt falsch ist und falsch sein muß, und daß im Gegentheil die
Thatsachen ebensowohl in der Natur wie in der Geschichte für einen ewigen,
wenn auch nach menschlichen Begriffen und Berechnungen überaus langsa-
men Fortschritt sprechen" (ebd., 264).
Demgegenüber kündigt N. in 120, 30-32 dem Gattungsperfektibilismus
ebenso das Vertrauen auf wie der Hoffnung, der große Einzelne werde über
die Masse Herr. In GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 44 (KSA 6, 145-146)
und 48 (KSA 6, 150 f.) scheint N. hingegen zu dieser Hoffnung zurückzufinden,
so dass sich zwischen diesen Abschnitten eine starke Spannung aufbaut. Die
„grosse Zahl" kehrt wieder in GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 40, KSA 6,
142, 27.
121, I f. die Schwachen haben mehr Geist...] Vgl. GM I 7, KSA 5, 267,
5-7: „Die menschliche Geschichte wäre eine gar zu dumme Sache ohne den
Geist, der von den Ohnmächtigen her in sie gekommen ist." In AC 5 wird
hingegen der Starke gerade durch seinen Geist charakterisiert, vgl. NK KSA 6,
171, 27-30.
121, 5 f. „lass fahren dahin! denkt man heute in Deutschland — das Reich
muss uns doch bleiben"] Nach der vierten Strophe von Martin Luthers berühm-
tem, an Psalm 46 angelehntem Kirchenlied Eine feste Burg ist unser Gott (1529):
„Das Wort sie sollen lassen stahn und kein' Dank dazu haben; / er ist bei uns
wohl auf dem Plan mit seinem Geist und Gaben. / Nehmen sie den Leib, Gut,
Ehr, Kind und Weib: / laß fahren dahin, sie haben's kein' Gewinn, / das Reich
muß uns doch bleiben." Vgl. NK 140, 16 f. In Luthers Lied ist das Reich Gottes
gemeint, in N.s ironischer Adaption das (neue) Deutsche Reich. Diese Einlas-
sung in Klammern, die sich zurückbezieht auf das Kapitel GD Was den Deut-
schen abgeht, kann wiederum als Beleg dafür gelesen werden, dass N. sich
keineswegs auf die Seite der „Starken" schlägt, hatte er die Deutschen doch
gerade wegen ihrer Geistferne schroff kritisiert. Ohnehin ist Geist die Voraus-
setzung und das Mittel des ganzen götzendämmerischen Unternehmens. N. hat
unter ausdrücklicher Nennung Luthers das Thema des prädominanten Macht-
interesses mit Hilfe des Kirchenliedes schon einmal in M 262, KSA 3, 209 durch-
gespielt.
121, 6-10 Ich verstehe unter Geist, wie man sieht, die Vorsicht, die Geduld, die
List, die Verstellung, die grosse Selbstbeherrschung und Alles, was mimicry ist
(zu letzterem gehört ein grosser Theil der sogenannten Tugend).] Geist als Mittel
 
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