Stellenkommentar GD Streifzüge, KSA 6, S. 127 473
Vgl. NK 127, 31-128, 7. Eine Inspirationsquelle für die Erörterungen zur Stimula-
tionskraft der Kunst ist Fere 1887, der „une theorie physiologique de l'estheti-
que" (ebd., 67) anvisiert. Er zitiert auch Guyau: „Sans s'appuyer sur des faits
physiologiques M. Guyau etait arrive ä cette definition: ,Le beau est une percep-
tion ou une action qui stimule' (Problemes d'esthetique contemporaine, S. 77).
Cette formule contient une partie de la verite." (Fere 1887, 66, Fn. 1. „Ohne sich
auf physiologische Tatsachen zu stützen, war Herr Guyau zu dieser Definition
gelangt: ,Das Schöne ist eine Wahrnehmung oder ein Vorgang, der stimuliert'
(Problemes d'esthetique contemporaine, S. 77). Diese Formel enthält einen Teil
der Wahrheit.").
127, 23-26 Eine Frage bleibt zurück: die Kunst bringt auch vieles Hässliche,
Harte, Fragwürdige des Lebens zur Erscheinung, — scheint sie nicht damit vom
Leben zu entleiden?] Vgl. NL 1887, KSA 12, 9[119], 405, 10-12 (KGW IX 6, W II
1, 50, 22-24): „Und das viele Häßliche, Harte, Schreckliche, das die Kunst dar-
stellt? Will sie damit vom Leben entleiden?" Das Verb „entleiden" belegt
Grimm 1854-1971, 3, 571 f. in zwei Bedeutungen: 1. „transitiv dolore, maerore
liberare", d. h vom Leid befreien, 2. „molestum, invisum reddere alicui, verlei-
den". N. spielt auf die Erlösungsfunktion der Kunst nach Schopenhauer an, die
partiell vom Leiden des Lebens befreie.
127, 27 „loskommen vom Willen" lehrte Schopenhauer] So ließ sich die Formu-
lierung in Schopenhauers Werken nicht nachweisen (vgl. zur Wirkung z. B. Die
Welt als Wille und Vorstellung I 3, § 51; zur Willensverneinung ebd. I V, § 70-
71). In einem Brief an Julius Frauenstädt vom 06. 08. 1852, der in der Einleitung
zum ersten Band der von N. benutzten Ausgabe im Auszug abgedruckt ist,
benutzt Schopenhauer freilich die Wendung: „Der Wille ist Ding an sich bloß
in Bezug auf die Erscheinung; er ist das was diese ist, unabhängig von unserer
Wahrnehmung und Vorstellung; das eben heißt an sich; daher ist er das
Erscheinende in jeder Erscheinung; der Kern jedes Wesens. Als solches ist der
Wille, Wille zum Leben. Daß er vom Wollen loskommen kann, bezeugt, im
Menschen die Askese in Asien und Europa durch Jahrtausende. Dieß Loskom-
men oder vielmehr dessen Resultat ist für uns geradezu ein Uebergang ins
Nichts; aber alles Nichts ist relativ." (Schopenhauer 1873-1874, 1, LXXX).
127, 28 f. „zur Resignation stimmen" verehrte er als die grosse Nützlichkeit der
Tragödie.] Vgl. Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung II 3, Kapitel 37:
„Was allem Tragischen, in welcher Gestalt es auch auftrete, den eigenthümli-
chen Schwung zur Erhebung giebt, ist das Aufgehen der Erkenntniß, daß die
Welt, das Leben, kein wahres Genügen gewähren könne, mithin unserer
Anhänglichkeit nicht werth sei: darin besteht der tragische Geist: er leitet dem-
nach zur Resignation hin." (Schopenhauer 1873-1874, 3, 495).
Vgl. NK 127, 31-128, 7. Eine Inspirationsquelle für die Erörterungen zur Stimula-
tionskraft der Kunst ist Fere 1887, der „une theorie physiologique de l'estheti-
que" (ebd., 67) anvisiert. Er zitiert auch Guyau: „Sans s'appuyer sur des faits
physiologiques M. Guyau etait arrive ä cette definition: ,Le beau est une percep-
tion ou une action qui stimule' (Problemes d'esthetique contemporaine, S. 77).
Cette formule contient une partie de la verite." (Fere 1887, 66, Fn. 1. „Ohne sich
auf physiologische Tatsachen zu stützen, war Herr Guyau zu dieser Definition
gelangt: ,Das Schöne ist eine Wahrnehmung oder ein Vorgang, der stimuliert'
(Problemes d'esthetique contemporaine, S. 77). Diese Formel enthält einen Teil
der Wahrheit.").
127, 23-26 Eine Frage bleibt zurück: die Kunst bringt auch vieles Hässliche,
Harte, Fragwürdige des Lebens zur Erscheinung, — scheint sie nicht damit vom
Leben zu entleiden?] Vgl. NL 1887, KSA 12, 9[119], 405, 10-12 (KGW IX 6, W II
1, 50, 22-24): „Und das viele Häßliche, Harte, Schreckliche, das die Kunst dar-
stellt? Will sie damit vom Leben entleiden?" Das Verb „entleiden" belegt
Grimm 1854-1971, 3, 571 f. in zwei Bedeutungen: 1. „transitiv dolore, maerore
liberare", d. h vom Leid befreien, 2. „molestum, invisum reddere alicui, verlei-
den". N. spielt auf die Erlösungsfunktion der Kunst nach Schopenhauer an, die
partiell vom Leiden des Lebens befreie.
127, 27 „loskommen vom Willen" lehrte Schopenhauer] So ließ sich die Formu-
lierung in Schopenhauers Werken nicht nachweisen (vgl. zur Wirkung z. B. Die
Welt als Wille und Vorstellung I 3, § 51; zur Willensverneinung ebd. I V, § 70-
71). In einem Brief an Julius Frauenstädt vom 06. 08. 1852, der in der Einleitung
zum ersten Band der von N. benutzten Ausgabe im Auszug abgedruckt ist,
benutzt Schopenhauer freilich die Wendung: „Der Wille ist Ding an sich bloß
in Bezug auf die Erscheinung; er ist das was diese ist, unabhängig von unserer
Wahrnehmung und Vorstellung; das eben heißt an sich; daher ist er das
Erscheinende in jeder Erscheinung; der Kern jedes Wesens. Als solches ist der
Wille, Wille zum Leben. Daß er vom Wollen loskommen kann, bezeugt, im
Menschen die Askese in Asien und Europa durch Jahrtausende. Dieß Loskom-
men oder vielmehr dessen Resultat ist für uns geradezu ein Uebergang ins
Nichts; aber alles Nichts ist relativ." (Schopenhauer 1873-1874, 1, LXXX).
127, 28 f. „zur Resignation stimmen" verehrte er als die grosse Nützlichkeit der
Tragödie.] Vgl. Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung II 3, Kapitel 37:
„Was allem Tragischen, in welcher Gestalt es auch auftrete, den eigenthümli-
chen Schwung zur Erhebung giebt, ist das Aufgehen der Erkenntniß, daß die
Welt, das Leben, kein wahres Genügen gewähren könne, mithin unserer
Anhänglichkeit nicht werth sei: darin besteht der tragische Geist: er leitet dem-
nach zur Resignation hin." (Schopenhauer 1873-1874, 3, 495).