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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0557
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538 Götzen-Dämmerung

semblait." („Ich sagte bereits, dass ich während mehreren Jahren nicht das
geringste Anzeichen von Reue, nicht das kleinste Unwohlsein in Anbetracht
der begangenen kriminellen Tat gesehen habe, und dass die meisten dieser
Zwangsarbeiter in ihrem Innersten der Meinung waren, dass sie das Recht
hatten, so zu handeln, wie es ihnen gut schien.") Ferner ebd., 223 f.: „Nos
camarades, au contraire (je ne garantis pas qu'il n'y eüt pas des exceptions),
regardaient d'un tout autre ceil leur aventure. — II est impossible, pensais-je
quelquefois, qu'ils aient le sentiment de leur culpabilite et de la justice de leur
peine, surtout quand ce n'est pas contre leurs camarades, mais contre leurs
chefs qu'ils ont peche. La plupart ne s'avouaient nullement coupables. J'ai
dejä dit que je n'observais en eux aucun remords, meme quand le crime avait
ete commis sur des gens de leur conditions. Quant aux crimes commis contre
leurs chefs, je n'en parle meme /224/ pas. Il m'a semble qu'ils avaient, pour
ces cas-lä, une maniere de voir ä eux, toute pratique et empirique; on excusait
ces accidents par sa destinee, par la fatalite, sans raisonnement, d'une fagon
inconsciente, comme par l'effet d'une croyance quelconque." („Unsere Kame-
raden (ich kann nicht garantieren, dass es keine Ausnahmen gab) betrachteten
im Gegenteil ihr Abenteuer aus einem völlig anderen Blickwinkel. — Es ist
unmöglich, dachte ich manchmal, dass sie das Gefühl für ihre Schuld oder für
die Berechtigung ihrer Strafe haben, vor allem dann, wenn sie sich nicht gegen
die eigenen Kameraden, sondern gegen ihre Vorgesetzten versündigt hatten.
Die meisten hielten sich für überhaupt nicht schuldig. Ich habe schon gesagt,
dass ich an ihnen überhaupt keine Gewissensbisse beobachten konnte, sogar
wenn die Tat gegenüber ihresgleichen geschehen ist. Im Bezug auf Straftaten
gegenüber ihren Vorgesetzten brauche ich überhaupt /224/ nichts anzufügen.
Es schien mir, als hätten sie für diese Fälle eine eigene Art und Weise der
Selbstbetrachtung, die sehr praktisch und empirisch war; man entschuldigte
diese Unfälle mit seinem Schicksal, mit der Unabwendbarkeit, ohne Nachden-
ken, in unbewusster Weise, wie durch den Effekt irgend eines Glaubens.") Vgl.
auch NL 1888, KSA 13, 14[155], 338 f. (KGW IX 8, W II 5, 54, 1-60-55, 1, 19).
Höffding 1887, 381, Fn. erwähnt Dostojewskij als Psychologe des Verbrechens;
zum Raskolnikow ausführlicher ebd., 434, Fn. Den Zusammenhang zwischen
Raskolnikows Verbrecherlehre und N.s Philosophie stellt Morillas 2008, 130-
136 her, vgl. auch Stellino 2009.
147, 12 die Entdeckung Stendhal's] Vgl. das Lob Stendhals in JGB 254, KSA 5,
199. N. liest Stendhal schon in den späteren siebziger Jahren (vgl. z. B. CBT
367), wobei eine intensivere Beschäftigung mit Stendhal erst 1879 nach der
Lektüre von Taine 1878b, 1, 31 (Anstreichung N.s, NPB 587) und dem Stendhal
dort gezollten, hohen Lob zustande kommt (Campioni 2001, 149 bzw. 2009,
184). Vgl. neben EH Warum ich so klug bin 3, KSA 6, 285, 34 („Stendhal, einer
 
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