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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0571
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552 Götzen-Dämmerung

IX 6, W II 1, 7, 26-46-8, 14-44) —, die er mit Hilfe von Hehns Gedanken über
Goethe akzentuiert, um so am deutschen Vorzeigedichter das Exempel einer
Umwertung zu statuieren. Vgl. Politycki 1989, 276-328.
151, 4 f. Goethe - kein deutsches Ereigniss, sondern ein europäisches] Demge-
genüber betont Hehn 1888, dessen Werk eine antisemitische Tendenz hat,
immer wieder Goethes Deutschtum, das sich z. B. darin zeige, wie er „mit dem
nationalen Alterthum verknüpft" sei (Hehn 1888, 332). Zu Beginn lässt Hehn
sogar die germanischen Götter auftreten, die in Goethe einen „Boten des Him-
mels" hätten schicken wollen, der „durch den Zauber des Gesanges und die
Kraft der Rede und des Denkens um die zerstreuten und verkümmerten Oert-
lichkeiten und Landschaften ein ideales Band schlänge, das sie zur Nation
machte." (Hehn 1888, 1) Vgl. GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 21, KSA 6,
125, 3-5 sowie Müller-Buck 1986; Seggern 2005, 95-110 und Barbera 2010.
151, 5-8 ein grossartiger Versuch, das achtzehnte Jahrhundert zu überwinden
durch eine Rückkehr zur Natur, durch ein Hinaufkommen zur Natürlichkeit der
Renaissance, eine Art Selbstüberwindung von Seiten dieses Jahrhunderts] Vgl.
Hehn 1888, 109: „Nicht Goethe, sondern Schiller war der poetisch vollendete
Ausdruck des achtzehnten Jahrhunderts, der dreifach oder hundertfach
erhöhte Klopstock: Goethe stand im tiefsten Gegensatz zu dem Geiste dessel-
ben und seine Dichtung begleitete dessen Phasen und Epochen keineswegs".
Hehns späterer Vergleich der Schillerschen und der Goetheschen Lyrik benutzt
auch den Ausdruck „Rückkehr zur Natur" (Hehn 1888, 225), allerdings im Blick
auf Schillers Spaziergang (zu Goethes Naturverständnis siehe Hehn 1888,
221 f.). „Goethe nun reichte mit seinem Geiste wohl bis zu den Zeiten der
Renaissance [...] und wußte von dorther lebendige Quellen auf seine poeti-
schen Fluren zu leiten" (ebd., 133). In diesem Horizont profiliert Hehn Goethe
als heidnischen Gegenpol zum Christentum: „Das Christenthum war die Reli-
gion des Gekreuzigten und eben damit sein Ideal der Schmerz und das Leiden.
Indem nun in Goethe ein /140/ Dichter der Renaissance, der begeisterten Natur,
des Menschen als eines Ganzen auftrat, während Entzweiung die allgemeine
religiöse und sittliche Voraussetzung bildete, — indem dieser Dichter innerhalb
einer Kirche, die unablässig bemüht war, das Bewußtsein des Todes wach zu
halten, nicht memento mori sprach, sondern ,gedenke zu leben' (so stand auf
der Rolle, Wilhelm Meister 8, 5) und seiner Geliebten schrieb: ,der heilige Geist
des Lebens verlasse Dich nicht' — so mußte er nothwendig in der öffentlichen
Meinung als verworfen und irreligiös erscheinen." (Ebd., 139 f. — vgl. dazu NK
KSA 6, 52, 16 f. und KSA 6, 254, 22). Zur „Rückkehr zur Natur" und „Durchbruch
der Originalität" bei Goethe siehe auch Fischer 1887b, 202; zur Selbstüberwin-
dung NK KSA 6, 11, 10-13.
 
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