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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0573
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554 Götzen-Dämmerung

151, 17-19 er bekämpfte das Auseinander von Vernunft, Sinnlichkeit, Gefühl,
Wille (- in abschreckendster Scholastik durch Kant gepredigt, den Antipoden
Goethe's)] Vgl. Hehn 1888, 93: „Beides, der Bau eines neuen Staates in der
Abstraction von allen organisch-lebendigen Kräften und die Kantische dualisti-
sche Moral und Verläugnung der Natur mußte Goethe tief mißfallen". Siehe
auch NK 150, 28-151, 2, zum Begriff des Antipoden NK KSA 6, 415, 6 f.
151, 19 f. er disciplinirte sich zur Ganzheit] Schöll 1882, 47 spricht von Goethes
„Streben[.] nach Ganzheit im Leben und Dichten".
151, 22-24 er hatte kein grösseres Erlebniss als jenes ens realissimum, genannt
Napoleon] Vgl. NK 106, 17-21 zu Goethes Napoleon-Begeisterung, NK 76, 28-30
zur scholastischen Bestimmung des „ens realissimum". Goethes Verarbeitung
seiner Begegnung mit Napoleon könnte eine der Inspirationsquellen für N.s
Titelwahl „Ecce homo" gewesen sein, siehe NK KSA 6, 255, 1.
151, 24-152, 1 Goethe concipirte einen starken, hochgebildeten, in allen Leib-
lichkeiten geschickten, sich selbst im Zaume habenden, vor sich selber ehrfürchti-
gen Menschen, der sich den ganzen Umfang und Reichthum der Natürlichkeit zu
gönnen wagen darf, der stark genug zu dieser Freiheit ist; den Menschen der
Toleranz, nicht aus Schwäche, sondern aus Stärke, weil er Das, woran die durch-
schnittliche Natur zu Grunde gehn würde, noch zu seinem Vortheile zu brauchen
weiss; den Menschen, für den es nichts Verbotenes mehr giebt, es sei denn die
Schwäche, heisse sie nun Laster oder Tugend...] N. modelliert Goethe zu
einem exemplarischen höheren Individuum, um dann in GD Streifzüge eines
Unzeitgemässen 51 als sprechendes Ich Goethe noch zu überbieten. Der Realis-
mus und Immoralismus, den N. Goethe zuschreibt, verstärkt Motive, die er bei
Hehn 1888 gefunden hat, vgl. NK KSA 6, 18, 19-19, 14. Nach Hehn 1888, 139
stand Goethe im Gegensatz zur herrschenden „Moral", verstanden als „das den
Menschen überall begleitende Bewußtsein, aus zwei Stücken zusammengesetzt
zu sein und den harten Kampf gegen die Sinnlichkeit bestehen zu müssen.
Denn Moral heißt, genau betrachtet, nicht schöne und weise Lebensführung,
sondern Mißtrauen gegen das Natürliche, vor Allem gegen das Geschlechter-
verhältniß, die Liebe." Vgl. auch Schöll 1882, 65: „Unter solchen Entschließun-
gen und Aufforderungen der Wachsamkeit und Umsicht ging in den ersten drei
Jahren in Weimar der Dichter vom Feuergeist zur Selbstbeschränkung über,
von durchschlagender Natürlichkeit zur Beruhigung in gesammelter Natur.
Sein Freimuth reinigte sich zur freien Betrachtung, die Leidenschaft zur harmo-
nisch erfüllten Seele."
151, 25 f. vor sich selber ehrfürchtigen Menschen] Nach Goethe: Wilhelm Meis-
ters Wanderjahre, 2. Buch, 1. Kapitel ist „die oberste Ehrfurcht" „die Ehrfurcht
 
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