Stellenkommentar GD Alten, KSA 6, S. 153 559
ich den Alten verdanke" zu GD hinzukam): Der Leser von GD bekommt nicht
nur einen Streifzug durch N.s Denken geboten, sondern auch durch seine Stil-
und Schreiblandschaften. Allerdings ist „Was ich den Alten verdanke" keines-
wegs nur oder in erster Linie ein autobiographisches Dokument. Die Opposi-
tion des Kapitels über die „Alten" zu den in den nun unmittelbar vorangehen-
den „Streifzügen" behandelten Modernen inszeniert N. sehr bewusst so, dass
es zu keinem Spannungsabfall im Laufe der Lektüre, zu keiner Erholung kom-
men kann. Denn die Äußerungen zur römischen und griechischen Literatur
betreten nur scheinbar einen Nebenschauplatz. Tatsächlich zeigt N. hier, wie
er sich bereits von GT an als ein Umwerter von Werten, im gegebenen Fall
der Werte des Philhellenismus betätigt und die Griechen neu entdeckt hat —
Dionysos, Schmerz, Orgiasmus, tragisches Gefühl sind entscheidende Stich-
worte, die erkennen lassen, dass es um weit mehr als um eine antiquarische
Fingerübung geht. Zwar wird die zwischen den „Streifzügen" und „Was ich
den Alten verdanke" ausgetragene querelle des anciens et des modernes nicht
einseitig gegen die Modernen entschieden, aber doch gegen die Modernen in
landläufigem Sinn.
Das Ich, das im letzten Kapitel das Wort führt, scheint kaum zu Danksa-
gungen aufgelegt, die man dem Titel gemäß erwarten würde, vielmehr dazu,
sein Konzept des Griechentums gegen den Klassizismus trennscharf zu profilie-
ren, um in dessen dionysischem Habitus für die Gegenwart und Zukunft
Exemplarisches zu finden. Die vom Titel suggerierte Danksagung gegenüber
den Alten bezieht sich selbst auf eine klassische literarische Tradition, wie sie
namentlich Mark Aurel im ersten Buch seiner sogenannten Selbstbetrachtungen
initiiert hat. Das Kapitel „Was ich den Alten verdanke" ließe sich als ironische
Inversion der Vorgabe Mark Aurels deuten (Hinweis von Paul van Tongeren) —
eine Vorgabe, zu der N. wiederum notiert: „Marc Aurel's Bekenntnisse sind für
mich ein komisches Buch." (NL 1884, KSA 11, 25[511], 147). Im fraglichen ersten
Buch von Mark Aurels Werk hat N. auch eine Seite mit einem Eselsohr mar-
kiert, nämlich diejenige, auf der der philosophierende Kaiser unter anderem
vermerkt, er verdanke den Göttern „eine rechtschaffene Schwester" (Mark
Aurel 1866, 12).
In zeitgenössischen pädagogischen Werken wurde die Frage, ob und inwie-
fern man sich noch dem Studium der antiken Literatur und ihrer Sprachen
widmen solle, eingehend diskutiert. N. hat beispielsweise im traditionskriti-
schen Kapitel „Werth der alten Classiker" bei Bain 1880, 374-405 einige Lese-
spuren hinterlassen.
Einen scharfen Blick auf GD Was ich den Alten verdanke wirft Cancik 2000,
150-162 aus altertumswissenschaftlicher Perspektive. Er kritisiert insbesondere
das s. E. wissenschaftlich unhaltbare Bild des Dionysos, der mit ihm zusam-
ich den Alten verdanke" zu GD hinzukam): Der Leser von GD bekommt nicht
nur einen Streifzug durch N.s Denken geboten, sondern auch durch seine Stil-
und Schreiblandschaften. Allerdings ist „Was ich den Alten verdanke" keines-
wegs nur oder in erster Linie ein autobiographisches Dokument. Die Opposi-
tion des Kapitels über die „Alten" zu den in den nun unmittelbar vorangehen-
den „Streifzügen" behandelten Modernen inszeniert N. sehr bewusst so, dass
es zu keinem Spannungsabfall im Laufe der Lektüre, zu keiner Erholung kom-
men kann. Denn die Äußerungen zur römischen und griechischen Literatur
betreten nur scheinbar einen Nebenschauplatz. Tatsächlich zeigt N. hier, wie
er sich bereits von GT an als ein Umwerter von Werten, im gegebenen Fall
der Werte des Philhellenismus betätigt und die Griechen neu entdeckt hat —
Dionysos, Schmerz, Orgiasmus, tragisches Gefühl sind entscheidende Stich-
worte, die erkennen lassen, dass es um weit mehr als um eine antiquarische
Fingerübung geht. Zwar wird die zwischen den „Streifzügen" und „Was ich
den Alten verdanke" ausgetragene querelle des anciens et des modernes nicht
einseitig gegen die Modernen entschieden, aber doch gegen die Modernen in
landläufigem Sinn.
Das Ich, das im letzten Kapitel das Wort führt, scheint kaum zu Danksa-
gungen aufgelegt, die man dem Titel gemäß erwarten würde, vielmehr dazu,
sein Konzept des Griechentums gegen den Klassizismus trennscharf zu profilie-
ren, um in dessen dionysischem Habitus für die Gegenwart und Zukunft
Exemplarisches zu finden. Die vom Titel suggerierte Danksagung gegenüber
den Alten bezieht sich selbst auf eine klassische literarische Tradition, wie sie
namentlich Mark Aurel im ersten Buch seiner sogenannten Selbstbetrachtungen
initiiert hat. Das Kapitel „Was ich den Alten verdanke" ließe sich als ironische
Inversion der Vorgabe Mark Aurels deuten (Hinweis von Paul van Tongeren) —
eine Vorgabe, zu der N. wiederum notiert: „Marc Aurel's Bekenntnisse sind für
mich ein komisches Buch." (NL 1884, KSA 11, 25[511], 147). Im fraglichen ersten
Buch von Mark Aurels Werk hat N. auch eine Seite mit einem Eselsohr mar-
kiert, nämlich diejenige, auf der der philosophierende Kaiser unter anderem
vermerkt, er verdanke den Göttern „eine rechtschaffene Schwester" (Mark
Aurel 1866, 12).
In zeitgenössischen pädagogischen Werken wurde die Frage, ob und inwie-
fern man sich noch dem Studium der antiken Literatur und ihrer Sprachen
widmen solle, eingehend diskutiert. N. hat beispielsweise im traditionskriti-
schen Kapitel „Werth der alten Classiker" bei Bain 1880, 374-405 einige Lese-
spuren hinterlassen.
Einen scharfen Blick auf GD Was ich den Alten verdanke wirft Cancik 2000,
150-162 aus altertumswissenschaftlicher Perspektive. Er kritisiert insbesondere
das s. E. wissenschaftlich unhaltbare Bild des Dionysos, der mit ihm zusam-