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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0591
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572 Götzen-Dämmerung

war, die jungen Leute zu den Pflichten, Geschäften und Erfolgen des Privat-
und Staatsgeschäftslebens zu erziehen." (Ebd., 584) N. merkt dazu an: „Die
Taktik Grote's zur Vertheidigung der Sophisten ist falsch: er will sie zu
Ehrenmännern und Moral-Standarten erheben — aber ihre Ehre war, keinen
Schwindel mit großen Worten und Tugenden zu treiben..." (NL 1888, KSA 13,
14[147], 331, 30-332, 2 = KGW IX 8, W II 5, 60, 24-28).
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157, 2-4 In den Griechen „schöne Seelen", „goldene Mitten" und andre Vollkom-
menheiten auszuwittern, etwa an ihnen die Ruhe in der Grösse, die ideale Gesin-
nung, die hohe Einfalt bewundern] N. attackiert hier das klassizistische Grie-
chen-Bild, wie es Johann Joachim Winckelmann maßgeblich geprägt hat und
wie es von den Philhellenen des 19. Jahrhunderts aufrecht erhalten wurde. In
der Vorstufe NL 1888, KSA 13, 24[1]9, 626, 6 spricht N. noch ausdrücklich von
der „Win(c)kelmannsche[n] ,hohe[n] Einfalt"' und nennt damit den Antipoden
der eigenen Auffassung beim Namen.
N.s Spätwerk macht von der „schönen Seele" nur noch einen abwertenden
Gebrauch. In MA I 152, KSA 2, 145 wollte N. der „Kunst der schönen Seele"
noch eine „Kunst der hässlichen Seele" gegenüberstellen (vgl. auch
MA II VM 151, KSA 2, 441). GM III 14, KSA 5, 369, 31-33 spricht hingegen von
der „ekelhafteste[n] Species der Eitlen", den „verlognen Missgeburten, die
darauf aus sind, ,schöne Seelen' darzustellen", vgl. auch EH Warum ich so gute
Bücher schreibe 3, KSA 6, 303, 12. EH Warum ich so gute Bücher schreibe 5,
KSA 6, 306, 10-11 findet bei den „schönen Seelen" sogar einen „physiologi-
schen Übelstand auf dem Grunde". AC 45, KSA 6, 221, 9 parodiert im Blick
auf ein paar als besonders abscheulich empfundene Zitate aus dem Neuen
Testament, die er „lauter Bekenntnisse ,schöner Seelen'" nennt, den Titel des
6. Buches von Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre (Goethe 1899, 257-356). Es
enthält die pietistisch gefärbten „Bekenntnisse einer schönen Seele" denen
die Aufzeichnungen Susanna Katharina von Klettenbergs (1723-1774) zugrunde
liegen, vgl. NK KSA 6, 221, 9.
„Goldene Mitten" haben ihre begriffsgeschichtlichen Wurzeln in der
peaÖTqg (övo kuklwv), dem ethisch gebotenen Mittelweg zwischen zwei Extre-
men oder Übeln bei Aristoteles (Nikomachische Ethik II 9, 1109 a 20 f.) und
machen Karriere über die „aurea mediocritas", das goldene Mittelmaß bei
Horaz (Carmina II 10, 5). Spitzer 1942, 169 belegt, dass seit der Renaissance
der Begriff „Milieu" zur Bezeichnung der „goldenen Mitte" Verwendung fand —
bekanntlich polemisiert N. seinerseits gegen den Milieubegriff seiner Zeitge-
 
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