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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0598
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Stellenkommentar GD Alten, KSA 6, S. 159-160 579

160, 10-14 Die Tragödie ist so fern davon, Etwas für den Pessimismus der
Hellenen im Sinne Schopenhauer's zu beweisen, dass sie vielmehr als dessen
entscheidende Ablehnung und Gegen-Instanz zu gelten hat.] In Abkehr von
GT konstruiert N. einen Gegensatz der Tragödie und des Pessimismus, um sich
selbst „als den ersten tragischen Philosophen zu verstehn — das heisst
den äussersten Gegensatz und Antipoden eines pessimistischen Philosophen"
(EH GT 3, KSA 6, 312, 25-27). Eine einschlägige Schopenhauer-Stelle ist in NK
127, 28 mitgeteilt.
160, 14-24 zitiert N. in EH GT 3, KSA 6, 312, 13-24. Vgl. zur Interpretation
auch NK KSA 6, 312, 27 f. und 336, 14 f.
160, 18-21 Nicht um von Schrecken und Mitleiden loszukommen, nicht um
sich von einem gefährlichen Affekt durch dessen vehemente Entladung zu reini-
gen — so verstand es Aristoteles] Aristoteles benutzt in seiner Poetik (6, 1449b,
27-30) die Begriffe Furcht (cpoßog) und Mitleid (eÄeoq), um die Wirkung der
Tragödie zu charakterisieren. Ob man diese Wirkung ästhetisch oder medizi-
nisch verstehen müsse, ist in der Aristoteles-Rezeption kontrovers diskutiert
worden; N. seinerseits hält die Wirkungscharakterisierung insgesamt für
falsch.
160, 22 f. ewige Lust des Werdens selbst zu sein] Vgl. NK 159, 27 f. N.s
ausführliche Kritik am Konzept des Seins zugunsten des Werdens findet sich
in NL 1887/88, KSA 13, 11[72], 35 f. (KGW IX 7, W II 3, 166, 36-66-167, 38-68).
160, 23 f. jene Lust, die auch noch die Lust am Vernichten in sich
schliesst...] In GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 49 ist dieser zerstörerische
Aspekt des Dionysischen getilgt, vgl. NK 152, 1-7. Der Gedanke ist schon in Za
II Von der Selbst-Ueberwindung, KSA 4, 149, 18 f. präsent: „Und wer ein Schöp-
fer sein muss im Guten und Bösen: wahrlich, der muss ein Vernichter erst sein
und Werthe zerbrechen." In EH Warum ich ein Schicksal bin 2, KSA 6, 366, 29 f.
schreibt das dort sprechende Ich sich diese „Lust am Vernichten" selbst zu
und hält sie für äquivalent mit seiner „Kraft zum Vernichten". Dadurch kann
der Gefahr des Ressentiments, die aus einer nicht abreagierten „Lust am Ver-
nichten" hervorzugehen scheint, wirkungsvoll begegnet werden, denn der Lust
entspricht, wenigstens wenn man N.s Selbstdiagnose vertraut, immer schon
das Vermögen, sie auszuagieren.
Die Wendung „Lust am Vernichten" taucht bei N. erst 1888 auf — just in
dem Jahr, als Louis Schneider in seinem monumentalen Erinnerungswerk an
Kaiser Wilhelm I. (angesichts der militärisch sinnlosen Zerstörung des Schlos-
ses von Saint-Cloud im Deutsch-Französischen Krieg 1870) befindet: „Wahr-
scheinlich ist es nur ein Ausbruch der dem französischen Charakter eigenen
 
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