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Koch, Hugo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 22. Abhandlung): Kallist und Tertullian: ein Beitrag zur Geschichte der altchristlichen Bußstreitigkeiten und des römischen Primats — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37699#0046
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Hugo Koch:

7. Tertullians Wandlungen.
Aber gestellt Tertullian nicht De pud. 1, 10ff. selber, daß er
seine Anschauung über die Buße geändert habe, daß er früher,
als er noch in der Gemeinschaft der Kirche stand, hierüber milder
gedacht habe, jetzt aber strenger denke und dies als Fortschritt
betrachte ? Gewiß, das sagt Tertullian, und es ist begreiflich, daß
Esser und seine Anschauungsgenossen darauf die Hand legen
und erklären, daß der Gesinnungswechsel Tertullians nur von der
nunmehrigen Friedensverweigerung im Gegensatz zu einer früheren
Friedensgewährung verstanden werden könne. Allein diese Deu-
tung ist zwar an sich möglich und am nächsten liegend, aber sie
ist nicht die einzig mögliche, und das Nächstliegende ist nicht
immer das Richtige. In unserem Falle wird diese Deutung durch
all die Gründe, die wir im Laufe unserer Untersuchung dargelegt
haben, unmöglich und muß jeder andern Deutung weichen, die
den Worten Tertullians gerecht wird, ohne jene Gründe gegen
sich zu haben.
Nun sagt ja Esser selber, daß Tertullian als Montanist die
Wirksamkeit der zweiten Buße sogar vor Gott antaste und an
der Möglichkeit der Verzeihung einer nach der Taufe begangenen
schweren Sünde von seiten Gottes zweifle, also die Kraft des
Erlösungsverdienstes Christi für die Vergebung schwerer Sünden
nach der Taufe leugne oder wenigstens stark in Frage stelle (Schrift
1905, 14 u. 23; Katholik 1907, II, 195).
Rauschen (Eucharistie und Bußsakrament2, 1910, 159f.)
hält zwar diese Auffassung Essers für zu weitgehend und ver-
weist auf Stellen wie De pud. 3, 4 und 18, 18, wo doch wieder
auch für peccata inremissibilia die göttliche Verzeihung in Aus-
sicht gestellt werde. Deshalb glaubt er mit Stufler (Ztschr. f.
kath. Theo!., 1908, 12), daß Tertullian da, wo er so rede, als ob
Gott den Todsündern überhaupt nicht verzeihen wolle, immer
nur eine schon in diesem Leben eintretende Verzeihung im
Auge habe. Das scheint nicht ganz unrichtig zu sein, aber auch
nicht ganz richtig. Verstehe ich Tertullian recht, so will er zwar
nicht die göttliche Verzeihung, wohl aber die Sicherheit dieser
Verzeihung bestreiten. Selbst der schroffe Satz: ,,horum ultra
exorator non erit Christus“ (De pud. 19, 25) dürfte aus De paen.
10, 6 seine Erklärung finden: ,,In uno et altero ecclesia est, ecclesia
vero Christus. Ergo cum te ad fratrum genua protendis, Christum
 
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