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R. H. Goldschmidt:
durch ihr unterschiedliches Bewegungsstreben zueinander gegen-
sätzlich. Nach einer solchen Annahme zeigen die einen (etwa die
warmen) Farben, entsprechend ihrer allgemeinen Verwandtschaft
mit ihrem typischen Repräsentanten (Gelb), ein Streben-aus-sich-
heraus, exzentrisch in die Weite ihrer Ausbreitungsfläche und zu-
gleich aus dieser Fläche heraus auf den Beschauer zu, dagegen die
anderen (etwa die kalten) Farben, entsprechend ihrer allgemeinen
Verwandtschaft mit deren typischem Repräsentanten (Blau), ein
Streben-in-sich-hinein, wonach sie sich konzentrisch in-sich-zu-
sammenziehen, in ihrer Ausbreitungsfläche schrumpfen und ver-
sinken, sodaß sie zugleich mit ihrem Versinken sich vom Beschauer
fortbewegen. Und analog kann ferner angenommen werden, daß
Formen dann etwas Ausstrahlendes, sich-Ausbreitendes haben (und
dementsprechend dann zum Beschauer hin ausstrahlen, sich zu
ihm hinwenden), wenn sie spitz sind, wie unter den planimetrisch-
einfachen Figuren das gleichseitige Dreieck; sowie umgekehrt, daß
Formen dann etwas Schrumpfendes und Versinkendes haben (und
dem entsprechend dann vor dem Beschauer dahinschwinden, sich
von ihm ab wenden), wenn sie rund sind, wie der Kreis. Sonach
handelte es sich um das synergetische Wirken auf das Bewe-
gungsstreben einer Erscheinung, wenn Farbe und Form zu-
einander passen; andernfalls um Spannungen zwischen unter-
schiedlichem Bewegungsstreben (vgl. 12.).
Es ist jedenfalls sehr wohl denkbar, daß ein synergetisches,
oder ein konkurrierendes Bewegungsstreben der Farben und der
Formen deren Zusammenhang erheblich mitgestalten kann. Dabei
kann dies Bewegungsstreben als ein unmittelbar miterlebtes Ge-
richtetsein, Gespanntsein oder Bewegtseinwollen imponieren. Oder
aber es kann minder unmittelbar hervortreten, so, als ob es erst er-
schlossen worden wäre, wenn sich dem Betrachter in seiner objektiv-
stillstehenden optischen Darbietung scheinbar der „Beginn“ einer
Bewegung zeigt, wenn beispielsweise eine mitten in der Bildfläche
schiefstehende Linie umzufallen droht; oderauch, wenn eine solche
Darbietung das „Ergebnis“ einer Bewegung zu sein scheint, etwa
einer exzentrischen Bewegung, die zur Vergrößerung und zum
Hervortreten, oder etwa einer konzentrischen Bewegung, die zur
Verkleinerung und zum Zurücktreten geführt hat.
Hier erhebt sich nun allgemein die Frage nach der Bedeutung
eines Bewegungsstrebens oder eines Bewegtseinwollens für das
künstlerische Erleben eines Farbe-Form-Zusammenhangs, ohne
R. H. Goldschmidt:
durch ihr unterschiedliches Bewegungsstreben zueinander gegen-
sätzlich. Nach einer solchen Annahme zeigen die einen (etwa die
warmen) Farben, entsprechend ihrer allgemeinen Verwandtschaft
mit ihrem typischen Repräsentanten (Gelb), ein Streben-aus-sich-
heraus, exzentrisch in die Weite ihrer Ausbreitungsfläche und zu-
gleich aus dieser Fläche heraus auf den Beschauer zu, dagegen die
anderen (etwa die kalten) Farben, entsprechend ihrer allgemeinen
Verwandtschaft mit deren typischem Repräsentanten (Blau), ein
Streben-in-sich-hinein, wonach sie sich konzentrisch in-sich-zu-
sammenziehen, in ihrer Ausbreitungsfläche schrumpfen und ver-
sinken, sodaß sie zugleich mit ihrem Versinken sich vom Beschauer
fortbewegen. Und analog kann ferner angenommen werden, daß
Formen dann etwas Ausstrahlendes, sich-Ausbreitendes haben (und
dementsprechend dann zum Beschauer hin ausstrahlen, sich zu
ihm hinwenden), wenn sie spitz sind, wie unter den planimetrisch-
einfachen Figuren das gleichseitige Dreieck; sowie umgekehrt, daß
Formen dann etwas Schrumpfendes und Versinkendes haben (und
dem entsprechend dann vor dem Beschauer dahinschwinden, sich
von ihm ab wenden), wenn sie rund sind, wie der Kreis. Sonach
handelte es sich um das synergetische Wirken auf das Bewe-
gungsstreben einer Erscheinung, wenn Farbe und Form zu-
einander passen; andernfalls um Spannungen zwischen unter-
schiedlichem Bewegungsstreben (vgl. 12.).
Es ist jedenfalls sehr wohl denkbar, daß ein synergetisches,
oder ein konkurrierendes Bewegungsstreben der Farben und der
Formen deren Zusammenhang erheblich mitgestalten kann. Dabei
kann dies Bewegungsstreben als ein unmittelbar miterlebtes Ge-
richtetsein, Gespanntsein oder Bewegtseinwollen imponieren. Oder
aber es kann minder unmittelbar hervortreten, so, als ob es erst er-
schlossen worden wäre, wenn sich dem Betrachter in seiner objektiv-
stillstehenden optischen Darbietung scheinbar der „Beginn“ einer
Bewegung zeigt, wenn beispielsweise eine mitten in der Bildfläche
schiefstehende Linie umzufallen droht; oderauch, wenn eine solche
Darbietung das „Ergebnis“ einer Bewegung zu sein scheint, etwa
einer exzentrischen Bewegung, die zur Vergrößerung und zum
Hervortreten, oder etwa einer konzentrischen Bewegung, die zur
Verkleinerung und zum Zurücktreten geführt hat.
Hier erhebt sich nun allgemein die Frage nach der Bedeutung
eines Bewegungsstrebens oder eines Bewegtseinwollens für das
künstlerische Erleben eines Farbe-Form-Zusammenhangs, ohne