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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 2. Abhandlung): Platonismus und Mystik im Altertum — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.40171#0024
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20

Ernst Hoffmann:

nicht durch eigene Kraft, sondern durch Vermittlung der Sonne
Schatten wirft, so kann das Eidos sein Eidolon nur durch die Gott
zu verdankende Methexis setzen. Wie die Sonne erstens den Gegen-
stand selber sichtbar macht, zweitens seinen Schatten erzeugt, so
ist Gott der Spender der Methexis sowohl im ontologischen wie
im erkenntnistheoretischen1 Sinne. Deshalb stellt Platon die
Gottesidee außerhalb jener Proportion, von der wir oben gehandelt
haben. Gott ist in die Proportion nicht hineinzubannen, weil er
selber ihr Stifter ist.
Platon macht dies sowohl im Linien- wie im Höhlen-
gleichnis deutlich. Das Liniengleichnis läßt unser Denken
zwar von der Eikasia bis zur Noesis in methodischer Stetigkeit
sich entwickeln; über die noetische Erkenntnis der Ideen hinaus
aber zum Begreifen Gottes ist noch ein besonderer und eigenartiger
Sprung, ‘denn2 die Seele kann über ihre Voraussetzungen (Ideen)
in der Richtung nach oben nicht hinaus’, sondern kann nur ver-
suchen, anstatt in begrifflicher in sinnbildlicher Weise sich der
Gottesidee zu nähern. Ist sie aber bis zu ihr vorgedrungen, dann
kann sie sich fest an sie halten, um von ihr stetig hinabzusteigen
in den Bereich des Denkbaren und von ihm aus in den des Wahr-
nehmbaren. Und entsprechend ist auch im Höhlengleichnis die
Ideensonne als letztes und überrationales Ziel der Erkenntnis
noch jenseits der zweimal zwei Phasen des aus Dunkel und Gebun-
denheit in Licht und Freiheit führenden Weges: Denn wer bis zur
Dialektik vorgedrungen ist, wer das unwandelbare System der
Ideensterne in der Ordnung, Gruppierung, Bewegung ihrer indi-
viduellen Einheiten und Ganzheiten zum Gegenstand seines Den-
kens macht, der hat zwar den Blick seiner Erkenntnis in der nur
für den Philosophen charakteristischen Weise nach ‘oben’ gerichtet,
aber er gleicht dem Menschen, der nur den ‘nächtlichen’ Himmel
beobachtet. Während das Sinnendasein in der Höhle geistigen Tod
bedeutet und erst nach Entfesselung die fortschreitende Empirie
phänomenalen Bereich sich die ganze Struktur des Übersinnlichen spiegelt.
Die uns verliehene Sichtweite vom gespiegelten Ding bis zum Tagesgestirn
reicht zur Strukturfindung des Unbedingten aus, wofern methodisches Denken
die Schnitte richtig legt.
1 Hierbei ist für Platon maßgebend der Vernunftcharakter der mensch-
lichen Sprache: Wir können das Vielerlei der Sinnendinge nur ‘erkennen’,
wofern wir es nach der jeweiligen Einheit der Sache ‘benennen'. Daher der
bald göttliche, bald menschliche Charakter des Namengebers im Kratylos.
2 Resp. VI, 511a.
 
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