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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 2. Abhandlung): Platonismus und Mystik im Altertum — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.40171#0027
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Platonismus und Mystik im Altertum.

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tens, den Ideen ist Beseeltheit zuzusprechen. Sind sie die Objekte
unserer reinen Denkerkenntnis, so ist damit nicht gesagt, daß sie
nicht auch selber Subjekte wären* 1 2: Als vollkommen-Seiendes
müssen sie selber vernünftig sein, also Seele haben, denn ‘von
allem Seienden kann allein die Seele als dasjenige bezeichnet wer-
den, dem der Besitz vernünftiger Einsicht zukommt52. Haben die
Ideen Seele, so muß der Seelenbegriff so gedacht werden, daß er
in der ideellen Sphäre nichts zu tun hat mit dem kreatürlichen
Psychischen, in welchem der Ursprung liegt von der Spaltung in
Gut und Böse, in Wahr und Falsch; sondern für die Ideen ist das
Moment der Beseeltheit nur eines unter den anderen Zeichen ihrer
Vollkommenheit. In diesem Sinne darf schließlich sogar der Gottes-
idee die Beseeltheit nicht abgesprochen werden. Gott ist zwar
noch jenseits des Seins und des noetischen Denkens, aber nicht
in dem Sinne, daß ihm Sein und Vernunft mangeln, sondern daß
sie ihm in einer dialektisch nicht mehr erfaßbaren Weise zur Ver-
fügung stehen3.
Eignet so allen drei Bereichen Seelisches in irgendeiner
Weise, so ist die kreatürliche Seele dadurch charakterisiert, daß
die drei Bereiche sämtlich für ihre Wesensbestimmung in Be-
tracht kommen. Der menschlichen Seele wohnt erstens Gottes
Wirkung inne als das ihr eingeborene Gute, zweitens liefern ihr
die Ideen die Bedingungen ihrer Erkenntnis des Wahren, und
drittens beherrschen die Erscheinungen von Haus aus das ganze
Gebiet ihrer sensitiven und emotionalen Existenz. In diesem Sinne
kann also der kreatürlichen Seele von Platon der Charakter von
etwas gleichsam ‘Zusammengesetztem’, alsoTeilbarem, zugesprochen
weit und Erscheinungswelt durch Seele und Körper nicht etwa adäquat,
sondern nur relativ vertreten. Erst nachdem im Timaios der Weltbegriff ein-
geführt und die Totalität der Erscheinungen konstituiert ist, werden Körper-
welt und Weltseele mythopoietisch als Inbegriffe bestimmter Seinsformen
verwendet. Daher ist es verfehlt, Platons Dualismus zwischen Idee und Er-
scheinung gar von dem Dualismus zwischen Seele und Leib herleiten
zu wollen; vielmehr wurde der Ideenbereich nicht zum mindesten gerade
deshalb von Platon postuliert, weil er entdeckte, daß die Philosophie mit
den beiden Bereichen des Psychischen und Physischen nicht auskommen
könne, da beide noch letzter Realität ermangeln. Hierauf beruht die ganze
Schärfe des Gegensatzes zu Protagoras.
1 Vgl. Soph. 249 a.
2 Tim. 46 d.
3 Deshalb können ihm mythopoietisch Eigenschaften wie Neidlosigkeit,
Fürsorglichkeit, Freudigkeit zugesprochen werden, Phaedr. 247 a, Legg. pass.
 
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