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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 2. Abhandlung): Platonismus und Mystik im Altertum — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.40171#0031
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Platonismus und Mystik im Altertum.

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arbeitender Kulissenmaler auf der trügerischen Bühne des öffent-
lichen Lebens, nur daß er ‘seine Bilder durch Worte hervorzaubert’,
unter dem Schein, sie seien Wahrheit. Er ist der gleiche Allwisser
und Tausendkünstler; auch er kennt nur Ein Universalverfahren;
er arbeitet, das Kleine groß, das Große klein darstellend, ebenso
leicht und schnell, ohne für seinen Logos die Schule des Leidens
zu kennen; er verlangt, daß die Kunden von seinen Produkten
gleich weiten Abstand bewahren; er verwendet seinen Trug, statt
zum spielerischen Zwecke unterhaltenden Scherzes, ebenso raffi-
niert zugunsten seines einträglichen Gewerbes; er betreibt dieselbe
‘Unmöglichkeit’. Mit all dem hat Platon die Eikasia nicht nur als
etwas Vorläufiges, sondern als etwas für den phänomenalen Bereich
Charakteristisches, in sich Verlogenes und dadurch die Seele in
wachsendem Maße Gefährdendes beschrieben. Der ganze Sinn
seiner Ausführungen aber hegt darin, daß wir innewerden sollen,
was seelisches ‘Leben’ sein soll und sein kann: Ein Weg, in dessen
Verfolg erstens das psychisch-Phantasmatische grundsätzlich seiner
beherrschenden Funktion beraubt und zu der dienenden Rolle
des Körperlichen verurteilt wird; zweitens die dadurch in der Seele
von Versklavung befreite Vernunft im Noetischen ihre eigenen
Wurzeln und Stützpunkte findet; und schließlich drittens das
wahre Selbst der Seele den Weg von den p.aÜ7]gxT;x zum [rsyiaxov
jj.aÜ7](j,.oc1 findet. Daher hegt in den Abwendungen und Umkehrun-
gen, in dem mühevollen Lernen und den schmerzhaften Gewöhnun-
gen das, was wahrhaft und allein ‘Leben’ der Seele zu nennen ist.
Und in diesem Sinne kennt der Platonische Logos nicht nur die
grundsätzlich freudige Eudämonie des Sokratischen, der das Gute
weiß, es folglich tut und demgemäß glücklich ist; sondern der
Platonische Logos weiß auch, daß die Loslösung von den Idolen
schmerzhaft, die Abwendung von der Erscheinungswelt leidvoll,
das Heimischwerden im Sein nur schrittweise erreichbar ist, und
vor allem, daß nach erreichtem Ziel die Rückkehr in die Höhle zur
Rettung der anderen geboten ist, wobei der Zweifel bleibt, ob
diese Rettung den Geretteten und dem Retter selbst zum Nutzen
ausschlägt. Man darf daher den genuinen Platonismus weder als
untragisch-optimistisch noch als orphisch-pessimistischbezeichnen.
Wie neben dem Gastmahl mit dem lebenden Sokrates der Phaidon
mit dem sterbenden steht, wie Komödie und Tragödie Sache des-
selben Dichters sind und ihre Koinzidenz in einer Tiefe haben, die

1 Resp. VI, 505 a.
 
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