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Ernst Hoffmann:
sion einer Contemplatio des Räumlichen1 auch auf die Ehrfurcht
vor der gottgewollten Geschichte übertragen durch die Römer,
für deren Bewußtsein ihr historischer Staat immer mehr nach Ur-
sprung und Bestimmung zu dem in Gott selber gegründeten
Imperium wurde. Aber erst in den platonisierenden Lehrsystemen
des späteren Hellenismus hat jene Weltfrömmigkeit den ihr ange-
messenen philosophischen Ausdruck gefunden, der von Kleanthes
bis Boethius grundsätzlich derselbe blieb: Das Ich und der Kosmos
stehen unmittelbar zu einander, denn den Sinn der kosmischen
Ganzheit aus dem Quellpunkt der göttlichen Einheit zu begreifen,
das ist zugleich der Sinn des Ich. Aufgabe und wahres Schicksal
des Menschen liegen in dieser Sinnfindung beschlossen. Ihr Mittel
aber ist jener Bereich der Kräfte, in den Platons Ideenbereich um-
geformt war, in ihm koinzidieren die Prinzipien der göttlichen
Schöpfung und der menschlichen Erkenntnis. Und diese Welt-
anschauung hatte ihren gewaltigen Anteil auch am Entstehen
der christlichen Gesittung und Bildung. Die christliche Religion
mit ihrer neuen, nur in Jesus gegründeten Auffassung von Sünde,
Leid und Tod, von Liebe, Freude und Auferstehung, ruhte rein
als Religion selbstverständlich vor allem auf jüdischen Voraus-
setzungen, auf ihrer Erfüllung sowohl wie auch auf ihrer Über-
windung. Die Ausbreitungsmöglichkeit der neuen Religion über
den Orbis terrarum beruhte auf der politischen Tatsache des
römischen Imperiums. Daß sie aber aus der Religion einer Sekte
zur Weltanschauung der abendländischen Menschheit sich ent-
v ickeln konnte, und daß sie, von den Armen im Geiste ausgehend,
nicht die jüdische Religion, sondern gerade die griechische und
römische zu verdrängen und dort die Gebildeten zu gewinnen ver-
mochte, das beruht auf jener Haltung und geistigen Beschaffenheit
der hellenisierten Menschheit, für die in erster Linie nicht einzelne
Denker, weder Poseidonios noch Antiochos, auch nicht eine einzelne
Schule, sondern jener die ganze Epoche beherrschende umgewan-
delte Platonismus bestimmend war, dessen eigene Architektonik
und dessen Durchsetzung mit alten und neuen Dogmatismen ich
skizziert habe. Er bildete eine gemeinsame, als Ganzes weniger
doktrinal ausgearbeitete als lebendig im Bewußtsein der Epoche
gewachsene und erstarkte Weltanschauung, welche innerlich nicht
nur bereit war, von der neuen Religion der Christen zu lernen und
1 Dies Wort zu verstehen im Sinn von F. Boll, Vita contemplativa2,
1922, S. 29.
Ernst Hoffmann:
sion einer Contemplatio des Räumlichen1 auch auf die Ehrfurcht
vor der gottgewollten Geschichte übertragen durch die Römer,
für deren Bewußtsein ihr historischer Staat immer mehr nach Ur-
sprung und Bestimmung zu dem in Gott selber gegründeten
Imperium wurde. Aber erst in den platonisierenden Lehrsystemen
des späteren Hellenismus hat jene Weltfrömmigkeit den ihr ange-
messenen philosophischen Ausdruck gefunden, der von Kleanthes
bis Boethius grundsätzlich derselbe blieb: Das Ich und der Kosmos
stehen unmittelbar zu einander, denn den Sinn der kosmischen
Ganzheit aus dem Quellpunkt der göttlichen Einheit zu begreifen,
das ist zugleich der Sinn des Ich. Aufgabe und wahres Schicksal
des Menschen liegen in dieser Sinnfindung beschlossen. Ihr Mittel
aber ist jener Bereich der Kräfte, in den Platons Ideenbereich um-
geformt war, in ihm koinzidieren die Prinzipien der göttlichen
Schöpfung und der menschlichen Erkenntnis. Und diese Welt-
anschauung hatte ihren gewaltigen Anteil auch am Entstehen
der christlichen Gesittung und Bildung. Die christliche Religion
mit ihrer neuen, nur in Jesus gegründeten Auffassung von Sünde,
Leid und Tod, von Liebe, Freude und Auferstehung, ruhte rein
als Religion selbstverständlich vor allem auf jüdischen Voraus-
setzungen, auf ihrer Erfüllung sowohl wie auch auf ihrer Über-
windung. Die Ausbreitungsmöglichkeit der neuen Religion über
den Orbis terrarum beruhte auf der politischen Tatsache des
römischen Imperiums. Daß sie aber aus der Religion einer Sekte
zur Weltanschauung der abendländischen Menschheit sich ent-
v ickeln konnte, und daß sie, von den Armen im Geiste ausgehend,
nicht die jüdische Religion, sondern gerade die griechische und
römische zu verdrängen und dort die Gebildeten zu gewinnen ver-
mochte, das beruht auf jener Haltung und geistigen Beschaffenheit
der hellenisierten Menschheit, für die in erster Linie nicht einzelne
Denker, weder Poseidonios noch Antiochos, auch nicht eine einzelne
Schule, sondern jener die ganze Epoche beherrschende umgewan-
delte Platonismus bestimmend war, dessen eigene Architektonik
und dessen Durchsetzung mit alten und neuen Dogmatismen ich
skizziert habe. Er bildete eine gemeinsame, als Ganzes weniger
doktrinal ausgearbeitete als lebendig im Bewußtsein der Epoche
gewachsene und erstarkte Weltanschauung, welche innerlich nicht
nur bereit war, von der neuen Religion der Christen zu lernen und
1 Dies Wort zu verstehen im Sinn von F. Boll, Vita contemplativa2,
1922, S. 29.