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Ernst Hoffmann:
oG'oFtjgu; zu überbrücken* 1. Xenokrates wandte die von Platon
aus der Philosophie verbannte topische Denkform gerade auf die
Tmemata an: der Gegenstand des Wissens liege jenseits des Him-
mels, der der Vorstellung am Himmel selbst, der der Wahrnehmung
innerhalb des Himmels; so wurden die Tmemata zu räumlichen
Bezirken versinnlicht2. Aristoteles verlangte, daß sinnlicher
Bereich und Denkbereich, daß Stoff und Form gerade nicht
tmematisch geschieden würden, sondern daß jeglicher Übergang
von Stoff zu Form als stetige Entwicklung bereits geformten Stof-
fes zu höherer Form gefaßt werde; der Begriff der entelechischen
Entwicklung synthetischer3 Substanz schließt jede Tmematik aus.
Es bedarf nicht vieler Worte, um zu zeigen, wie in allen drei Rieh
tungen schon die organistische Tendenz und die dingliche Denk-
form des hellenistischen Philosophierens statt der dialektischen
Platons sichtbar wurde, und wie nunmehr grundsätzlich der Cha-
rakter der Idee nicht nur als des Övtcop Öv und des ocuto xatF ocuto
zerfallen mußte, sondern auch als des ewigen sISop, des alleinigen
•xspoep und der wesenhaften povap. Auch das Problem der Ideen-
gruppierung, im Parmenides noch identisch mit dem Problem der
Struktur der intelligiblen Welt, sank zu einer Frage bloßer Begriffs-
klassifikation hinab. Platons Grundlehre von der im Hinblick
auf die Ideen fortschreitenden Erkenntnis wurde einseitig zur
metaphysischen Ideenschau, und zwar vornehmlich nach Analogie
künstlerischer Vision4 umgebildet. Das ganze Ineinander von
‘Dialektik’, ‘Theorie der Formen’ und ‘Agathon-Spekulation5’,
und im Menschen das Philosophische freigelegt ist. So viel ich weiß, ist noch
nicht versucht worden, Platons Darstellungskunst unter diesem Gesichtspunkt
als Ausdruck seiner Wissenschaftskunst zu verstehen. Der Versuch müßte
mit derjenigen Gründlichkeit unternommen werden, mit der Fr. Thiersch 1837
‘Über die dramatische Natur der Platonischen Dialoge’ (Abh. der Bayr. Akad.
I KL, II. Teil, I. Abt.) eine Untersuchung geliefert hat, die ohne Wirkung
und ohne Nachfolge geblieben zu sein scheint. Der Charakter von Platons
Philosophie liegt in der dialektischen Bestimmtheit, also der ‘Grenze’ des
Gedankens; was aber Platon als Künstler so groß macht, ist das Unbegrenzte
seiner Mittel, um hinter jedem Satz eine Welt ahnen und durch jeden Satz
im Leser eine Welt entstehen zu lassen.
1 Bei Sextus Adv. math. 7, 145 (Lang fr. 29).
2 Bei Sextus Adv. math. 7, 147 (Heinze fr. 5).
3 Met. 1023b lff.
4 Vgl. E. Panofsky, Idea (Stud. d. Bibi. Warburg) 1924, S. 6ff.
5 Das bedeutet nach antiker Traditionsauffassung: Ineinander von
Eleatismus, Pythagoreismus und Sokratik.
Ernst Hoffmann:
oG'oFtjgu; zu überbrücken* 1. Xenokrates wandte die von Platon
aus der Philosophie verbannte topische Denkform gerade auf die
Tmemata an: der Gegenstand des Wissens liege jenseits des Him-
mels, der der Vorstellung am Himmel selbst, der der Wahrnehmung
innerhalb des Himmels; so wurden die Tmemata zu räumlichen
Bezirken versinnlicht2. Aristoteles verlangte, daß sinnlicher
Bereich und Denkbereich, daß Stoff und Form gerade nicht
tmematisch geschieden würden, sondern daß jeglicher Übergang
von Stoff zu Form als stetige Entwicklung bereits geformten Stof-
fes zu höherer Form gefaßt werde; der Begriff der entelechischen
Entwicklung synthetischer3 Substanz schließt jede Tmematik aus.
Es bedarf nicht vieler Worte, um zu zeigen, wie in allen drei Rieh
tungen schon die organistische Tendenz und die dingliche Denk-
form des hellenistischen Philosophierens statt der dialektischen
Platons sichtbar wurde, und wie nunmehr grundsätzlich der Cha-
rakter der Idee nicht nur als des Övtcop Öv und des ocuto xatF ocuto
zerfallen mußte, sondern auch als des ewigen sISop, des alleinigen
•xspoep und der wesenhaften povap. Auch das Problem der Ideen-
gruppierung, im Parmenides noch identisch mit dem Problem der
Struktur der intelligiblen Welt, sank zu einer Frage bloßer Begriffs-
klassifikation hinab. Platons Grundlehre von der im Hinblick
auf die Ideen fortschreitenden Erkenntnis wurde einseitig zur
metaphysischen Ideenschau, und zwar vornehmlich nach Analogie
künstlerischer Vision4 umgebildet. Das ganze Ineinander von
‘Dialektik’, ‘Theorie der Formen’ und ‘Agathon-Spekulation5’,
und im Menschen das Philosophische freigelegt ist. So viel ich weiß, ist noch
nicht versucht worden, Platons Darstellungskunst unter diesem Gesichtspunkt
als Ausdruck seiner Wissenschaftskunst zu verstehen. Der Versuch müßte
mit derjenigen Gründlichkeit unternommen werden, mit der Fr. Thiersch 1837
‘Über die dramatische Natur der Platonischen Dialoge’ (Abh. der Bayr. Akad.
I KL, II. Teil, I. Abt.) eine Untersuchung geliefert hat, die ohne Wirkung
und ohne Nachfolge geblieben zu sein scheint. Der Charakter von Platons
Philosophie liegt in der dialektischen Bestimmtheit, also der ‘Grenze’ des
Gedankens; was aber Platon als Künstler so groß macht, ist das Unbegrenzte
seiner Mittel, um hinter jedem Satz eine Welt ahnen und durch jeden Satz
im Leser eine Welt entstehen zu lassen.
1 Bei Sextus Adv. math. 7, 145 (Lang fr. 29).
2 Bei Sextus Adv. math. 7, 147 (Heinze fr. 5).
3 Met. 1023b lff.
4 Vgl. E. Panofsky, Idea (Stud. d. Bibi. Warburg) 1924, S. 6ff.
5 Das bedeutet nach antiker Traditionsauffassung: Ineinander von
Eleatismus, Pythagoreismus und Sokratik.