Platonismus und Mystik im Altertum.
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worauf Platons philosophische Entwicklung und die fruchtbaren
Aporien seiner Systematik beruht hatten, löste sich auf, als die
Logik zum propädeutischen Organon, die Formenlehre zu einer
Theorie der gegenständlichen Wirklichkeit wurde und der Bereich
der empirischen Einzelwissenschaften sich dem Primat der Dia-
lektik entzog. Nun erst konnten die Ideen, ihres Amtes und ihres
eigenen, absoluten Seinscharakters enthoben, zu dem werden,
was sie hei Platon nie hatten sein können: sei es zu einer inhärieren-
den Seite der Wirklichkeit, sei es zu einem Bereich und Inbegriff
bloßer Werkzeuge des Ur-Einen, d. h. gotthafter Schaffensmächte
im Kosmos. Und damit war in beiden Fällen auch die Platonische
Methexis preisgegeben. Es war Platons eigentümliche Fassung
des Widerspruchsaxioms1 gewesen, aus der für ihn folgte, daß nur
der ‘Schnitt’ die ‘Teilhabe’ setzt; ohne Chorismos keine Methexis,
ohne Tmematik keine Systematik: Zwar ruft die Sinnesempfin-
dung das Denken auf; aber erst das Denk-Wissen, indem es sich
kontradiktorisch gegen das Nichtwissen abgrenzt, läßt eben damit
auch in gewissem Sinne zugleich das sinnliche Meinen, das Nicht-
wissen, zu; denn das Wissen begreift sich selber als Maßstab, an
dem es das ‘Mehr oder Minder’ des Nichtwissens messen kann.
Und wie mit Wissen und Nichtwissen, so steht es mit Sein und
Nichtsein, mit Eidos und Eidolon, mit Peras und Apeiron. Und
daß es so steht, ist Gottes Sache. Ist hingegen die Struktur alles
Seienden organischer Prozeß vom Stoff zur Form hin (aristotelisch),
oder Derivation vom Einen hinunter bis zum Grenzenlosen (helle-
nistisch), so fällt mit dem Tmema die Teilhabe, mit der Teilhabe
die genuin platonische Bemühung um Teilhabe durch tätige Ideen-
erkenntnis und Verwertung des Erkannten, und hiermit ist es um
den ursprünglichen Sinn des Platonischen Systems geschehen. Von
Platons Partizipation zu hellenistischer Semination, Explikation
und Emanation führt der Weg nur über eine Motivverschiebung,
welche, problemgeschichtlich betrachtet, von radikaler Art ist.
Der Weg von Gott oder zu Gott ist für die hellenistische und
die aristotelische Philosophie zu etwas gleichsam Unmittelbarem
geworden, mag Gott als Ziel oder Quelle gelten. Für Platon aber
ist der Bereich des Ideenseins der Grund, warum Gott und Wissen
1 In meinem Aufsatz, Der histor. Ursprung des S. v. W. (Jahresb. d. Phil.
Yer. 49. Jahrg. 1923) habe ich S. 11 oben hierüber Falsches gesagt; ich muß
den betr. Abschnitt zurücknehmen.
5 Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl. 1934/35. 2. Abli.
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worauf Platons philosophische Entwicklung und die fruchtbaren
Aporien seiner Systematik beruht hatten, löste sich auf, als die
Logik zum propädeutischen Organon, die Formenlehre zu einer
Theorie der gegenständlichen Wirklichkeit wurde und der Bereich
der empirischen Einzelwissenschaften sich dem Primat der Dia-
lektik entzog. Nun erst konnten die Ideen, ihres Amtes und ihres
eigenen, absoluten Seinscharakters enthoben, zu dem werden,
was sie hei Platon nie hatten sein können: sei es zu einer inhärieren-
den Seite der Wirklichkeit, sei es zu einem Bereich und Inbegriff
bloßer Werkzeuge des Ur-Einen, d. h. gotthafter Schaffensmächte
im Kosmos. Und damit war in beiden Fällen auch die Platonische
Methexis preisgegeben. Es war Platons eigentümliche Fassung
des Widerspruchsaxioms1 gewesen, aus der für ihn folgte, daß nur
der ‘Schnitt’ die ‘Teilhabe’ setzt; ohne Chorismos keine Methexis,
ohne Tmematik keine Systematik: Zwar ruft die Sinnesempfin-
dung das Denken auf; aber erst das Denk-Wissen, indem es sich
kontradiktorisch gegen das Nichtwissen abgrenzt, läßt eben damit
auch in gewissem Sinne zugleich das sinnliche Meinen, das Nicht-
wissen, zu; denn das Wissen begreift sich selber als Maßstab, an
dem es das ‘Mehr oder Minder’ des Nichtwissens messen kann.
Und wie mit Wissen und Nichtwissen, so steht es mit Sein und
Nichtsein, mit Eidos und Eidolon, mit Peras und Apeiron. Und
daß es so steht, ist Gottes Sache. Ist hingegen die Struktur alles
Seienden organischer Prozeß vom Stoff zur Form hin (aristotelisch),
oder Derivation vom Einen hinunter bis zum Grenzenlosen (helle-
nistisch), so fällt mit dem Tmema die Teilhabe, mit der Teilhabe
die genuin platonische Bemühung um Teilhabe durch tätige Ideen-
erkenntnis und Verwertung des Erkannten, und hiermit ist es um
den ursprünglichen Sinn des Platonischen Systems geschehen. Von
Platons Partizipation zu hellenistischer Semination, Explikation
und Emanation führt der Weg nur über eine Motivverschiebung,
welche, problemgeschichtlich betrachtet, von radikaler Art ist.
Der Weg von Gott oder zu Gott ist für die hellenistische und
die aristotelische Philosophie zu etwas gleichsam Unmittelbarem
geworden, mag Gott als Ziel oder Quelle gelten. Für Platon aber
ist der Bereich des Ideenseins der Grund, warum Gott und Wissen
1 In meinem Aufsatz, Der histor. Ursprung des S. v. W. (Jahresb. d. Phil.
Yer. 49. Jahrg. 1923) habe ich S. 11 oben hierüber Falsches gesagt; ich muß
den betr. Abschnitt zurücknehmen.
5 Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl. 1934/35. 2. Abli.