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Ernst Hoffmann:
es also viertens weder Sein noch Erkenntnis zuließe1. Diese vier
Positionen bilden zusammen die Thesis über den Begriff des un-
bedingt-Einen. Nun könnte man denken, Platon habe also hier
doch etwas über das göttlich-Eine ausgesagt. Aber tatsächlich
haben wir bisher nur die Thesis, zu der Platon sofort selber die
Antithesis ergänzt: Sie würde postulieren, daß das Eine aus
‘Teilen’ besteht; daß das Eine mit dem ‘Andern’ zusammen ein
Ganzes ausmacht; daß zwischen dem Einen und dem Andern
‘Teilhabe’ stattfindet; daß das Eine ‘Sein hat und Erkenntnis
zuläßt’. Der Kern der Antithesis liegt in dem Satze, daß das Eine
(Gott) und das Sein (die Ideen) an einander teilhaben; der Kern
der Thesis, daß sie nicht aneinander teilhaben. Gilt die Thesis,
so wird die Denkbarkeit Gottes verneint, denn er bleibt jenseits
des Seins und somit der Denkbarkeit. Gilt die Antithesis, so müßte
eine Teilhabe angenommen werden, die nur als oltokoc, cpüaic, zu
bezeichnen wäre, als undenkbarer Kontakt von Einsheit und Viel-
heit, von Zeitlosem und Zeitlichem; die Teilhabe wäre dem Cha-
rakter des ‘Momentanen’ zu vergleichen2, sofern der Moment
zugleich in der Zeit und dennoch ohne zeitliche Ausdehnung ist.
Unzweifelhaft hat Platon in der Thesis eine dialektische Aussage
über Gott gemacht, also ‘Scholastik’ vorweggenommen; und eben-
so unzweifelhaft hat er in der Antithesis sachlich ganz genau den
Standpunkt bezeichnet, den die Mystik einnehmen müßte und
später eingenommen hat. Aber Platon selber nimmt eben keinen
von beiden Standpunkten ein; denn seine Philosophie erfordert
etwas anderes, als den Kontakt zwischen dem zeitlos-Einen und
dem zeitlich-Vielen dogmatisch zu bejahen oder dogmatisch zu
verneinen. Daher beläßt es Platon grundsätzlich bei der Anti-
nomie3: Für Gott als das unbedingt-Eine müßte gelten die in der
Thesis ausgesprochene Absolutheit, er ist ‘jenseits des Seins’,
und das stetig-regressive Denken der pluralistischen Dialektik
1 Parm. 142 a. ouS’ apa ovoga ecrav aüx« ouSe Xöyop ouSe eTuaxrjgT)
ouSs afafhrjau; oöSe 8oE,oc . . . oüS’ ovoga^exai apa o68k Xeyexat. oüSe So^a^exat,
oüSe yiyvctaxexai °öSs x-cov övxcov aüxoö alaü-avexai. Nach Logos und Eidos
disponiert ähnlich wie Epist. VII, 342eff. Grundsätzliche Begründung des
Standpunktes der Negativen Theologie.
2 r) s^aicpvTjq ccöxv] cpücjttg axoTrot; tic, syxaÜTjxai gexa^ö xivrjasco? xe xal
axaascoi;, sv xpovco o^Sevl oüaa, xal ziq xaüxv]v 8r] xal ex xauxv]? xo xe xivoügevov
gexaßaXXst, hl xö eaxavai xal xo eaxoc, exl xo xiveiaüai. Parrn. 156de.
3 Und in diesem Aufzeigen von Antinomien, in denen das dialektische
Denken gipfeln muß, besteht eine der wesentlichsten Tendenzen des Dialogs.
Ernst Hoffmann:
es also viertens weder Sein noch Erkenntnis zuließe1. Diese vier
Positionen bilden zusammen die Thesis über den Begriff des un-
bedingt-Einen. Nun könnte man denken, Platon habe also hier
doch etwas über das göttlich-Eine ausgesagt. Aber tatsächlich
haben wir bisher nur die Thesis, zu der Platon sofort selber die
Antithesis ergänzt: Sie würde postulieren, daß das Eine aus
‘Teilen’ besteht; daß das Eine mit dem ‘Andern’ zusammen ein
Ganzes ausmacht; daß zwischen dem Einen und dem Andern
‘Teilhabe’ stattfindet; daß das Eine ‘Sein hat und Erkenntnis
zuläßt’. Der Kern der Antithesis liegt in dem Satze, daß das Eine
(Gott) und das Sein (die Ideen) an einander teilhaben; der Kern
der Thesis, daß sie nicht aneinander teilhaben. Gilt die Thesis,
so wird die Denkbarkeit Gottes verneint, denn er bleibt jenseits
des Seins und somit der Denkbarkeit. Gilt die Antithesis, so müßte
eine Teilhabe angenommen werden, die nur als oltokoc, cpüaic, zu
bezeichnen wäre, als undenkbarer Kontakt von Einsheit und Viel-
heit, von Zeitlosem und Zeitlichem; die Teilhabe wäre dem Cha-
rakter des ‘Momentanen’ zu vergleichen2, sofern der Moment
zugleich in der Zeit und dennoch ohne zeitliche Ausdehnung ist.
Unzweifelhaft hat Platon in der Thesis eine dialektische Aussage
über Gott gemacht, also ‘Scholastik’ vorweggenommen; und eben-
so unzweifelhaft hat er in der Antithesis sachlich ganz genau den
Standpunkt bezeichnet, den die Mystik einnehmen müßte und
später eingenommen hat. Aber Platon selber nimmt eben keinen
von beiden Standpunkten ein; denn seine Philosophie erfordert
etwas anderes, als den Kontakt zwischen dem zeitlos-Einen und
dem zeitlich-Vielen dogmatisch zu bejahen oder dogmatisch zu
verneinen. Daher beläßt es Platon grundsätzlich bei der Anti-
nomie3: Für Gott als das unbedingt-Eine müßte gelten die in der
Thesis ausgesprochene Absolutheit, er ist ‘jenseits des Seins’,
und das stetig-regressive Denken der pluralistischen Dialektik
1 Parm. 142 a. ouS’ apa ovoga ecrav aüx« ouSe Xöyop ouSe eTuaxrjgT)
ouSs afafhrjau; oöSe 8oE,oc . . . oüS’ ovoga^exai apa o68k Xeyexat. oüSe So^a^exat,
oüSe yiyvctaxexai °öSs x-cov övxcov aüxoö alaü-avexai. Nach Logos und Eidos
disponiert ähnlich wie Epist. VII, 342eff. Grundsätzliche Begründung des
Standpunktes der Negativen Theologie.
2 r) s^aicpvTjq ccöxv] cpücjttg axoTrot; tic, syxaÜTjxai gexa^ö xivrjasco? xe xal
axaascoi;, sv xpovco o^Sevl oüaa, xal ziq xaüxv]v 8r] xal ex xauxv]? xo xe xivoügevov
gexaßaXXst, hl xö eaxavai xal xo eaxoc, exl xo xiveiaüai. Parrn. 156de.
3 Und in diesem Aufzeigen von Antinomien, in denen das dialektische
Denken gipfeln muß, besteht eine der wesentlichsten Tendenzen des Dialogs.