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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 2. Abhandlung): Platonismus und Mystik im Altertum — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.40171#0084
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80

Ernst Hoffmann:

lieh gerichtete Denkform des Hellenismus, zwischen denen ein
unüberbrückbarer Gegensatz liegt. In dieser Beziehung folgt die
Entwicklung der hellenistischen Philosophie nicht Platon, sondern
der teleologischen Analysis des Dingbegriffes, die Aristoteles ge-
geben, auf den Begriff der Entelechie gegründet und mit seiner
Lehre von der Seele als der ‘Form’ des Leibes engstens verknüpft
hatte. Wenn Stoa, Pythagoreer und Plotin die Einzelseele als
Weil’ der Weltseele begreifen wollten, so war das dinglich, substan-
tiell gemeint; denn der Semination, Explikation und Emanation
des Weltprozesses liegt schon der Dingbegriff als konstitutiv zu-
grunde; und die Weltseele gilt, sofern sie nicht von den Späteren
widerplatonisch geradezu mit Gott* 1 gleichgesetzt wird, als eine
des Werdens, das gewordene Sein, das Anders-Sein, das Nicht-Sein, der Schein
des Seins usw. Alles Werdende bedarf der Wahrheit (Phileb. 63 d ff.), alles
Sein bedarf des Guten. Und jede Yeysv^gev/] ouala hat Seele, d. h. Selbst-
bewegung; höchster Fall: Das Denken der Wahrheit. In diesem Sinne wird
menschliches Erkennen mit kosmischem Geschehen im Timaios als gleich-
artig gesetzt. E. Manasse, Der Begriff der Platonischen Wahrheit, Diss.
Heidelberg 1933, hat richtig gezeigt, daß Platon im Timaios das Denken
vom Sein her bestimmt, früher das Sein vom Denken her. Das ist aber für
Platon kein Stellungswechsel, sondern trotz aller Neuheit der im Timaios
vorgetragenen Lehren sind es für ihn nur zwei Aspekte derselben Problem-
stellung. Wenn die Platonische ‘Freiheit’ der Menschenvernunft früher darin
bestand, daß der Mensch durch Heimischwerden im Ideenreich frei wurde
vom starren Zwange der phantasmatischen Welt, so wird diese Freiheit im
Timaios nicht dadurch begrenzt, daß auch der befreite Mensch nur den Weg
zum gegebenen kosmischen Sein finden kann, sondern der Kosmos des Timaios
soll als ‘Ganzheit’ mythopoietisch die sichtbar gewordene Ideenwelt vertreten.
Freiheit bedeutet für Platon immer: Herrschaft der Vernunft. So ist es ein
Weg des Menschen zur Freiheit, wenn er das vernünftige Ganze des Kosmos
denkt.
1 Das Gleichsetzen der Weltseele mit Gott geschieht meist so,
daß sie mit einem bestimmten fundamentalen Aspekt Gottes identifiziert
wird, z. B. dem Fatum. Vgl. dazu Brandis über Plutarch im Handbuch
griech.-röm. Philos. III, 2, S. 270. Plutarch gibt auch in der zweiten seiner
‘Platonischen Fragen’ mit seinen Deutungen über Gott und Seele den kon-
vertierten, nicht den genuinen Standpunkt des Platonismus an (denn bei
Platon zeugt Gott weder ein substantielles Sein, noch ist die Seele ungezeugt,
sondern sie wird geschaffen, damit die Welt des Werdens durch sie Teilhabe
am Sein erhält). Besonders kennzeichnend ist Maximus Tyrius, der die Idee
des Guten mit der Noesis noeseos kontaminiert (Brandis S. 271), was über-
haupt für die Späteren das Mittel ist, um das vernünftige Wissen der mensch-
lichen Seele unmittelbar als gottgleich zu fassen. Für Platon ist die erkennende
Seele ‘mehr seiend’ (im Sinne von: dem Sein näher) als etwa die aisthetische
Seele oder der Körper, aber nicht gottgleich. Wie wenig Aristotelismus und
 
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