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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 2. Abhandlung): Platonismus und Mystik im Altertum — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.40171#0100
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96

Ernst Hoffmann:

schien, daß sie den Aporien Zenons erliege1, und der durch Ein-
schaltung des Aktualitätshegriffs die Menschen davor bewahrt
zu haben schien, daß ihr Weg zu Gott sich in unendlichem Regreß
verlaufe2, erfolgte jene Rezeption der Platonismen, von der ich
in den vorangehenden Kapiteln gehandelt habe. In diesem geistes-
geschichtlichen Prozesse der Verschmelzung von Platonischen Lehr-
stücken und Aristotelischen Voraussetzungen im Dienste helle-
nistischer Problematik entstand und reifte jene spätantike Philo-
sophie undogmatischer Frömmigkeit, in der wie in einer höheren
Einheit der platonisch-aristotelische Gegensatz aufgehoben schien.
Diese Versöhnung aber gründete sich vornehmlich auf die Kraft,
vermöge deren die hellenistischen Schulen Fremdes zu ihren eige-
nen, neuen Zwecken konvertierten. Der tiefere Gegensatz zwischen
Platonismus und Aristotelismus blieb dennoch in der Sache be-
gründet und betraf in gleichem Maße das Erkenntnisproblem,
das Menschheitsproblem und das Gottesproblem. Nach Aristoteles
steigt das Denken stetig auf und wird immer mehr Denken. Und
der Aufstieg des Denkens ist letztlich das Wesen der Welt, die
Entwicklung des Stoffes zur Form. Der Mensch ist ein Teil dieser
sich entwickelnden Welt und erfaßt im Denken ihr An-sich-sein.
Gott aber ist das Denken des Denkens; nur dadurch ist er das
Erste Bewegende und die reine Tatwirklichkeit. Für Platon hin-
gegen ist gerade maßgebend, daß das Denken nicht kontinuierlich
aufsteigt, sondern in der Deduktion (dianoetisch) auch hinabsteigt;
also muß es reines Sein geben, und daran hängt alles. Und der
Mensch ist nicht sowohl Teil der Welt als vielmehr Teilhaber an
der ideellen Überwelt. Und Gott ist weder reine Vernunft, sondern
das Gute; noch Beweger, sondern Schöpfer; noch absolutes Sein,
sondern jenseits davon. So war das" hellenistische Doppelerbe
mit immanenten Aporien behaftet, die in sich unlösbar sind.
Die Weltrealität war für Platon eine Frage, für Aristoteles war
sie eine Tatsache.
1 Das Kontinuum besteht nach Aristoteles zwar aus potentiell ‘teil-
baren’, aber aus aktuell ‘ungeteilten’ Elementen. Also braucht Achill keine
‘wirklich’-unendliche Strecke zu durchlaufen, sondern nur eine potentiell-
unendliche, was ihn nicht aufhält.
2 Da Gott und die Welt wirklich sind, gibt es zwischen beiden keinen
nur potentiellen, sondern einen aktuellen Weg. Und nur der potentielle wäre
unendlich. Wie' die ‘Natur’ vom Ersten Prinzip aus bis zu uns als zu Wirk-
lichkeiten gelangt, so gelangt unser Denken von der Ersten Materie bis zu
Gott hin als zur Wirklichkeit.
 
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