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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 2. Abhandlung): Platonismus und Mystik im Altertum — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.40171#0119
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Platonismus und Mystik im Altertum.

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bildenden Motive des Platonismus zu Zwecken christlicher Philo-
sophie maßgebend vollzog.
So wenig auch bloße Denkbemühung und vernünftige Erkennt-
nis ausreichen, um im Sinne Augustinischen Christentums letzte
Weisheit zu erreichen, so ist dennoch auch für den Mann der Soli-
loquien und Confessionen der einzige Weg, auf dem 'das Denken’
uns helfen kann zu Gott zu kommen, der1, daß wir uns aus dem
Getümmel unserer divergenten Begehrungen sammeln und durch
Verinnerlichung unseres ganzen Wesens den Einheitsquell unseres
Tiefenlebens, den Grund unserer Seele, erreichen. Hier allein haben
wir Sein, denn hier ist Einheit, und Sein heißt Eins-sein. Sind wir
so weit gelangt, so soll unsere Seele in sich selber bleiben, und sie
wird schauen, wie Gottes Trinität sich in ihr spiegelt; denn unser
seelisches Sein ist Spiegelung des Vaters, unser Wissendsein des
Sohnes, unser Wollendsein des Heiligen Geistes. Es ist noch durch-
aus im Denkstile der hellenistischen Philosophie gedacht, wenn Ver-
innerlichung bedeutet, sich zurückzuziehen in die Einsheit; und es
ist neuplatonisch gedacht, wenn die göttliche Funktion des absolut -
Einen in entfalteter Dreiheit west und Leben wirkt. Auch die Be-
schreibung der Ekstase Augustins2, als er vor dem Tode der Mutter
mit ihr am Fenster steht und beide in einem Augenblicke höchster
Herzenserhebung die Ewigkeit berühren, wo es weder Vergangen-
heit noch Zukunft mehr gibt und alle Geschöpfe der Welt verstum-
men, weil jetzt Gott selber hörbar ist, verbindet ein Bibelwort3 mit
Zügen der neuplatonischen, momentanen Entrückung aus der räum-
lichen und zeitlichen Vielheitsfolge des Universums in die Sphäre
der überweltlichen Einsheit. Selbst Augustins Gedanke vom Ur-
ständ und vom Gottesstaat zeigt noch einige Spuren stoischer Ver-
wandtschaft: Wenn im Urstande der Menschheit, vor Adams Fall,
das Leben der Gotteskinder so war, wie der Schöpfer es wollte,
Gemeinschaft ohne Hader, Liebe ohne Lüsternheit, Ordnung ohne
Gewalt, so wirkt in diesem Bilde noch die stoische Prähistorie von
dem der Welt ursprünglich in reinem Zustande verliehenen Logos-
gute nach. Und wenn trotz des Sündenstandes eine kleine unsicht -
1 Abgesehen selbstverständlich von der Denkarbeit der Schriftauslegung.
Die Doctrina christiana zeigt, daß es nach Augustin mit zum Wesen des gött-
lichen Wortes gehört, daß sein Sinn 'erarbeitet5 werden muß. Dafür will
Augustin die hermeneutische Methode schaffen.
2 Conf. IX, 10.
3 Rom. 8, 23.
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