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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 2. Abhandlung): Platonismus und Mystik im Altertum — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.40171#0120
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Ernst Hoffmann:

bare Civitas divina nach Gottes Willen durch die Zeitlichkeit der
Geschichte wallfahrtet, um dereinst zu ewigem Frui Deo bei Gott
zu bleiben, so ruft selbst diese christliche Fassung, wenn auch nur
leise, die Einnerung wach an den unsichtbaren Staat der stoi-
schen Sapientes, in denen der göttliche Logos seine Leuchtkraft
bewahrt hat.
Aber es genügt nicht, Augustinus als Mystiker einen platoni-
sierenden Christen oder einen christlichen Platoniker zu nennen;
sondern seine Bedeutung für die Geschichte der christlichen Philo-
sophie liegt darin, daß er unmittelbar für das Christentum in glei-
chem Sinne zu dem Epoche machenden Manne wurde, wie Platon
es für die Griechen1 gewesen war. Was nämlich für jeden der
beiden Denker im Laufe persönlicher Entwicklung sich als Resultat
des Ringens um Wahrerkenntnis ergeben hatte, das wurde der
Folgezeit zum grundsätzlich-systematischen Ansatzpunkt aller wei-
teren fruchtbaren Problementfaltung. Bei Augustinus als Erstem
und Einzigem ruhte wieder das Ganze seines Philosophierens, wie
bei Platon, auf einem prinzipiellen Dreierlei, welches nunmehr aber
diejenige Form erhielt, die methodisch mit aller Strenge aus den
Voraussetzungen christlichen Denkens hervorging. Ich meine we-
niger seine eigentliche Trinitätslehre, in der zum ersten Male das
Dreieinheitsproblem durch die christlich-affektive Fassung des
Willensbegriffes für die neue Religion auch philosophisch2 von Be-
deutung wurde; sondern ich meine die Dreiheit von Gott, Gottes-
staat und Erdenstaat. Platons Gott hat ewig neben sich die reinen
Seinsformen; denn seine Güte besteht darin, Teilhabe am Sein zu
gewähren. Augustins Gott aber, der nicht nur Schöpfergott für
den Kosmos, sondern liebender Vatergött für die Menschen ist,
1 Vgl. meinen Aufsatz über den Platonismus in Augustins Philosophie
der Geschichte. Festschrift für Ernst Gassirer. Oxford 1935.
2 In den begrifflichen Fassungen des Esse und Nosse bleibt Augustin
abhängig von antiken Fragestellungen (Substanzvorstellung, Erstreben des
Summum bonum); sein Veile aber hat den rein christlichen Sinn der Gottes-
liebe und Gottesgemeinschaft. Daher liegt der Riß, über den Augustinus
philosophiert, ganz anders als der Schnitt Platons: nicht zwischen votjoi? und
ai'aü-Yjai.i; (vertikal), sondern zwischen nosse und veile (horizontal). Der Wille
ist zugleich gottbezogen und doch im Grunde verderbt. Hier ist der Punkt,
von dem aus Augustin seine, alle Grenzen der antiken Philosophie hinter
sich lassende Weitsicht in den Bereich der seelischen und historischen Dimen-
sion gewinnt. Diese Zusammenhänge, die namentlich die "Bekenntnisse’ und
den "Gottesstaat’ betreffen, gehören nicht mehr in den Rahmen dieser Ab-
handlung.
 
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