Platonismus und Mystik im Altertum.
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tiven Theologie Vorschub zu leisten schienen1: Hatte Platon das
Überseiende, Transfinite gegen das Seiende, Definite kontradik-
torisch abgegrenzt, so galt den Neuplatonikern als erlaubt, das
Transfinite in den neuen Begriff des Infiniten übergehen und in
ihm aufgehen zu lassen. Schon bei Philon2 ist diese Wandlung der
Denkart abgeschlossen; Plutarch3 polemisiert bereits gegen die,
welche Gott unendlich nennen; für Plotin4 ist Gottes Unendlich-
keit jedem Zweifel entrückt.
Droysen hat den dritten Band seiner Geschichte des Hellenis-
mus mit einem Kapitel eingeleitet, in welchem er tiefer als jemand
vor ihm den Geist des Hellenismus aus seiner geschichtlichen Ent-
wicklung begreift und seine Vollendung darin erblickt, daß ihm das
Höchste gelang, ‘was das Altertum aus eigener Kraft zu erreichen
vermocht hat: der Untergang des Heidentums’. Mit diesem lapi-
daren Satze5 ist auch die ganze Bedeutung der philosophischen
Lehre vom unendlichen Gott ausgesprochen. Die griechische Philo-
sophie ist niemals antitheistisch gewesen, aber sie hatte atheistisch
begonnen. Als der religiöse Glaube des Volkes hinter den Forderun-
gen einer kultivierteren Moral zurückgeblieben war und die religiö-
sen Mythologien auch nicht ausgereicht hatten, um den begrifflich
1 S. o. S. 67ff. Dazu die Exegesen des Proklos über den Begriff des Un-
endlichen im Kommentar zu Platons Parmenides. Vgl. 0. Zimmermann,
Plat. Parm. u. der Komment, des Proklos. Diss. Heidelberg 1935.
2 Philon zieht für den ‘absoluten’ Gott die Folgerung, daß er airoio?,
apprjTop, äy.ocToÜTjTCTop ist. Er ist nicht Idee (ysvop), sondern Allheit der Ideen
(ysvixeyrocirov). Nicht er ist nach der Eins oder Einheit gebildet, sondern die
[xovoc? ist xocto. töv sva üeov gebildet. Alle Bestimmungen, die das Denken
setzt, gelten nicht für den absoluten, sondern für den sich offenbarenden Gott.
Vgl. Gfrörer, Philo I, 1831, S. 118; M. Wolff, Phiionische Philos., 1849,
S. 14; C. Siegfried, Philo als Ausleger des A. T., 1875, S. 199.
3 De def. XXX, 426 dff.: Gott oux eitl xevov caceipov zc,(i> ßZeTrwv oüS’
Ecorrov olWo S’ouSev (wv]-9-7)cav svioi) vowv. .. r) [aev oüv aTtsipioc 7tocvTa7ra(nv äyvcogcov
xai ccZoyop xal jat]§oc[acü<; TrpoaisgsvT) -9-sov, äZZa ypcijAEVT) 7tpö<; tkxvtoc tw xava tüxvjv
xcd aurogaTox;.
4 Das ‘Eine’ ist unendlich, ‘nicht weil Größe und Zahl unermeßlich sind,
sondern weil die Kraft unfaßbar ist’. Enn. VI, IX, 6. Das Eine ist das positiv
Unendliche, dessen Funktion sogar auch der ganzen intelligiblen Sphäre als
der ersten Emanation des Einen eignet, denn auch der intelligiblen Sphäre
‘fehlt jeder Mangel, und nichts braucht sie von sich auf’. Enn. III, VII, 5. —
Im Gegensatz zum Einen ist die Materie in negativem Sinne unendlich, weil
sie ‘Nichts’ ist. Zwischen dem positiv und negativ Unendlichen aber steht der
Kosmos, das vollkommene Gebilde endlicher Totalität.
5 Geschichte des Hellenismus2 III, S. 8.
9:'r
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tiven Theologie Vorschub zu leisten schienen1: Hatte Platon das
Überseiende, Transfinite gegen das Seiende, Definite kontradik-
torisch abgegrenzt, so galt den Neuplatonikern als erlaubt, das
Transfinite in den neuen Begriff des Infiniten übergehen und in
ihm aufgehen zu lassen. Schon bei Philon2 ist diese Wandlung der
Denkart abgeschlossen; Plutarch3 polemisiert bereits gegen die,
welche Gott unendlich nennen; für Plotin4 ist Gottes Unendlich-
keit jedem Zweifel entrückt.
Droysen hat den dritten Band seiner Geschichte des Hellenis-
mus mit einem Kapitel eingeleitet, in welchem er tiefer als jemand
vor ihm den Geist des Hellenismus aus seiner geschichtlichen Ent-
wicklung begreift und seine Vollendung darin erblickt, daß ihm das
Höchste gelang, ‘was das Altertum aus eigener Kraft zu erreichen
vermocht hat: der Untergang des Heidentums’. Mit diesem lapi-
daren Satze5 ist auch die ganze Bedeutung der philosophischen
Lehre vom unendlichen Gott ausgesprochen. Die griechische Philo-
sophie ist niemals antitheistisch gewesen, aber sie hatte atheistisch
begonnen. Als der religiöse Glaube des Volkes hinter den Forderun-
gen einer kultivierteren Moral zurückgeblieben war und die religiö-
sen Mythologien auch nicht ausgereicht hatten, um den begrifflich
1 S. o. S. 67ff. Dazu die Exegesen des Proklos über den Begriff des Un-
endlichen im Kommentar zu Platons Parmenides. Vgl. 0. Zimmermann,
Plat. Parm. u. der Komment, des Proklos. Diss. Heidelberg 1935.
2 Philon zieht für den ‘absoluten’ Gott die Folgerung, daß er airoio?,
apprjTop, äy.ocToÜTjTCTop ist. Er ist nicht Idee (ysvop), sondern Allheit der Ideen
(ysvixeyrocirov). Nicht er ist nach der Eins oder Einheit gebildet, sondern die
[xovoc? ist xocto. töv sva üeov gebildet. Alle Bestimmungen, die das Denken
setzt, gelten nicht für den absoluten, sondern für den sich offenbarenden Gott.
Vgl. Gfrörer, Philo I, 1831, S. 118; M. Wolff, Phiionische Philos., 1849,
S. 14; C. Siegfried, Philo als Ausleger des A. T., 1875, S. 199.
3 De def. XXX, 426 dff.: Gott oux eitl xevov caceipov zc,(i> ßZeTrwv oüS’
Ecorrov olWo S’ouSev (wv]-9-7)cav svioi) vowv. .. r) [aev oüv aTtsipioc 7tocvTa7ra(nv äyvcogcov
xai ccZoyop xal jat]§oc[acü<; TrpoaisgsvT) -9-sov, äZZa ypcijAEVT) 7tpö<; tkxvtoc tw xava tüxvjv
xcd aurogaTox;.
4 Das ‘Eine’ ist unendlich, ‘nicht weil Größe und Zahl unermeßlich sind,
sondern weil die Kraft unfaßbar ist’. Enn. VI, IX, 6. Das Eine ist das positiv
Unendliche, dessen Funktion sogar auch der ganzen intelligiblen Sphäre als
der ersten Emanation des Einen eignet, denn auch der intelligiblen Sphäre
‘fehlt jeder Mangel, und nichts braucht sie von sich auf’. Enn. III, VII, 5. —
Im Gegensatz zum Einen ist die Materie in negativem Sinne unendlich, weil
sie ‘Nichts’ ist. Zwischen dem positiv und negativ Unendlichen aber steht der
Kosmos, das vollkommene Gebilde endlicher Totalität.
5 Geschichte des Hellenismus2 III, S. 8.
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