134
Ernst Hoffmann:
liehe zur Unio mystica mit dem Unendlichen gelangen, so ist es mit
einer bloßen Auflösung des Einzelnen und Vielen in die allgemeine
und umgreifende Weltsubstanz hinein nicht getan; denn dieser
Ausgang wäre schließlich nur dem körperlichen Sterben analog, und
die Einung mit dem Absoluten wäre der Tod als gebührender
‘Sold für die Sünde’, die bereits grundsätzlich mit der Individuation
als dem Heraustreten aus dem Absoluten gegeben war* 1. Hingegen
nach der Grundtendenz der spätantiken Mystik handelt es sich um
‘Heimkehr’ zum Einen als dem Lebensquell, um persönliches und
unmittelbares ‘Wiedersehen’ mit Gott, dessen richterlicher Blick
nicht nur verwirft, sondern auch begnadet, ja belohnt2. Daher
reicht Thanatos nicht aus, um Psychopomp des Mysten zu sein3,
sondern der wahre Geleiter ist allein der, der selber Anfang und Ende
ist und der als ewige Mitte das Ende in neuen Anfang verwandelt.
Was vom ursprünglichen Platonismus hierbei erhalten scheint, ist
die grundsätzliche ‘Jenseitigkeit’ Gottes. Aber sie ist zum Träger
eines neuen Inhaltes geworden. Wenn Gott als das Eine, Unend-
liche nicht Totalität ist wie das archaische corstpov und oökov, also
nicht diesseitig, sondern wenn er als uTrspxoGgto.;, u7cspouat,0£; und
e7C£X£iva, also jenseitig4 empfunden und ausgesagt wird, so sind Un-
endlichkeit und Jenseitigkeit Gottes im religiösen Gefühle jene
Eins und Zwei als höchste Prinzipien. Erst die Dialektik des Proklos kam
darüber hinaus, s. U. S. 143.
1 Zu Anaximandros SiSovat yap auxoc Slx7]v xal tloiv öcZXy)Zoi<; aSixla«;
xaxa T7]v toü xp°vou toc^lv (Vorsokr. 2, 9) vgl. Rohde, Psyche2 * II, S. 119 Anm. 1.
2 Denn Gott hat nicht nur praevidentia, sondern providentia. Boethius
Consol. Y, 6, 67 Peiper. Ygl. auch die Grundgedanken von Plutarchus De
sera numinis vindicta, dazu Klostermann, Späte Vergeltung, Sehr. d. Wiss.
Gesellsch. Straßburg XXVI, 1916, und die Synthese von slgapxevT] und
•xpovoia in den durch Wili-i. v. Moerbeke lateinisch erhaltenen Schriften des
Proklos über die Providenz (Proclus ed. Cousin I, Paris 1820), dazuÜberweg-
Praechter12 S. 626.
3 Er ist nur insofern als Helfer unentbehrlich, als er der Seele.wieder zu
ihrer ursprünglichen Gestalt verhilft, die ihr praevital und postvital eignet,
während sie in der Verkleidung des Lebens nur als Schauspieler ihre Rolle
spielt. In dieser Form gehen schließlich die alten Motive, die schon Platon vom
Pythagoreismus entlehnt hatte, in die neuplatonische Vorstellung von dem
Weltgeschehen als der Schaubühne Gottes über. Über die Unterscheidung von
Seele-an-sich und Seele-im-Leben s. E. Schroeder, Plotins Abhandlung noüsv
toc xaxa. Diss. Rostock 1916.
4 Je mehr mit der Vergottung des Kosmos ernst gemacht wurde, umso
mehr erschien der ‘überweltliche Ort’ der absoluten Gottheit gleichsam noch
weiter hinausprojiziert. Mit der Immanenz der Formen in der Welt schien den
Ernst Hoffmann:
liehe zur Unio mystica mit dem Unendlichen gelangen, so ist es mit
einer bloßen Auflösung des Einzelnen und Vielen in die allgemeine
und umgreifende Weltsubstanz hinein nicht getan; denn dieser
Ausgang wäre schließlich nur dem körperlichen Sterben analog, und
die Einung mit dem Absoluten wäre der Tod als gebührender
‘Sold für die Sünde’, die bereits grundsätzlich mit der Individuation
als dem Heraustreten aus dem Absoluten gegeben war* 1. Hingegen
nach der Grundtendenz der spätantiken Mystik handelt es sich um
‘Heimkehr’ zum Einen als dem Lebensquell, um persönliches und
unmittelbares ‘Wiedersehen’ mit Gott, dessen richterlicher Blick
nicht nur verwirft, sondern auch begnadet, ja belohnt2. Daher
reicht Thanatos nicht aus, um Psychopomp des Mysten zu sein3,
sondern der wahre Geleiter ist allein der, der selber Anfang und Ende
ist und der als ewige Mitte das Ende in neuen Anfang verwandelt.
Was vom ursprünglichen Platonismus hierbei erhalten scheint, ist
die grundsätzliche ‘Jenseitigkeit’ Gottes. Aber sie ist zum Träger
eines neuen Inhaltes geworden. Wenn Gott als das Eine, Unend-
liche nicht Totalität ist wie das archaische corstpov und oökov, also
nicht diesseitig, sondern wenn er als uTrspxoGgto.;, u7cspouat,0£; und
e7C£X£iva, also jenseitig4 empfunden und ausgesagt wird, so sind Un-
endlichkeit und Jenseitigkeit Gottes im religiösen Gefühle jene
Eins und Zwei als höchste Prinzipien. Erst die Dialektik des Proklos kam
darüber hinaus, s. U. S. 143.
1 Zu Anaximandros SiSovat yap auxoc Slx7]v xal tloiv öcZXy)Zoi<; aSixla«;
xaxa T7]v toü xp°vou toc^lv (Vorsokr. 2, 9) vgl. Rohde, Psyche2 * II, S. 119 Anm. 1.
2 Denn Gott hat nicht nur praevidentia, sondern providentia. Boethius
Consol. Y, 6, 67 Peiper. Ygl. auch die Grundgedanken von Plutarchus De
sera numinis vindicta, dazu Klostermann, Späte Vergeltung, Sehr. d. Wiss.
Gesellsch. Straßburg XXVI, 1916, und die Synthese von slgapxevT] und
•xpovoia in den durch Wili-i. v. Moerbeke lateinisch erhaltenen Schriften des
Proklos über die Providenz (Proclus ed. Cousin I, Paris 1820), dazuÜberweg-
Praechter12 S. 626.
3 Er ist nur insofern als Helfer unentbehrlich, als er der Seele.wieder zu
ihrer ursprünglichen Gestalt verhilft, die ihr praevital und postvital eignet,
während sie in der Verkleidung des Lebens nur als Schauspieler ihre Rolle
spielt. In dieser Form gehen schließlich die alten Motive, die schon Platon vom
Pythagoreismus entlehnt hatte, in die neuplatonische Vorstellung von dem
Weltgeschehen als der Schaubühne Gottes über. Über die Unterscheidung von
Seele-an-sich und Seele-im-Leben s. E. Schroeder, Plotins Abhandlung noüsv
toc xaxa. Diss. Rostock 1916.
4 Je mehr mit der Vergottung des Kosmos ernst gemacht wurde, umso
mehr erschien der ‘überweltliche Ort’ der absoluten Gottheit gleichsam noch
weiter hinausprojiziert. Mit der Immanenz der Formen in der Welt schien den