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Ernst Hoffmann:
für den hellenischen Geist bundesgenössische Gedanken in allen
Weltanschauungen, mit einziger Ausnahme der christlichen; sich
selber aber stellte er ans Ende der ‘hermetischen Kette’ jener Er-
leuchteten, die durch fortgesetzte Überlieferung der grundlegenden
Wahrheiten an der Entwicklung und Enthüllung der einzig richtigen
Philosophie mitgearheitet hatten* 1. Ihm war die eigene Lehre erst
dann Triumph, wenn nicht nur Priestertum und Philosophie zur
Konvergenz gebracht waren, sondern wenn seine Lehre erwiesen
hatte, daß allein der Philosoph zugleich der wahre Priester aller
Kulte2 sei, da die spekulative Rechtfertigung aller Dogmen allein in
seiner Hand liegt. In diesem Vorhaben befolgte Proklos historisch
die Methode, alle Weisheitslehren auf möglichst frühe Quellen zu-
rückzuführen (so die pythagoreische, platonische, aristotelische auf
die Orphik3); der Beweisführung gab er nach Möglichkeit den Cha-
rakter der mathematischen Schlußfolge (am strengsten in der Inst,
theolog.); das göttlich-Eine verwendete er als das Realprinzip, das
einerseits gestattet, alles Sein und Werden triadisch aus ihm zu ent-
wickeln, und das andererseits vom Menschen über allem Wissen den
Glauben (tugtiü verlangt, der nicht nur als Quelle theosophischer
Offenbarung unentbehrlich ist, sondern der allein die Einung mit
dem Einen ermöglicht.
Die Art von Philosophie, die sich als Resultat dieses Bemühens
ergab, ist deutlicher durch ihre Denkform als durch ihren Denkin-
halt zu kennzeichnen. Man darf bei Proklos mit Fug von ‘philo-
sophischem Byzantinismus’ reden, wie es beim Areopagiten einen
kirchlichen Byzantinismus gibt: Je weiter hinauf, umso näher der
ewig ursprünglich bleibenden, konzentrierten Vollkommenheit des
Einen; je tiefer hinab,umso mehr abgeleitet, geteilt und unvollkom-
men das Viele; zwischen oben und unten aber das Ganze als eine
p,uthxoh; 7rXafffjiaaiv s7uaxt,a£ogEV7)v xocteTSs ts paSiax; . . . xal elc, Tiyaysv, k'cj]-
you[Asv6(; ts xaVTa svüt)uai.acraxGyrspov xal sh cru[xcpft)Vtav aycov. nocai St xoiq/rütv TcaXca-
OTspcov ypdc[xp,aaiv etcEimv, oaov p.sv 9}v xap’ aÜTOii; yovi.gov, touto jaet’ sraxplascix;
sDs7toisiTO, sl 8e tu; avsgiaiov Tjupiaxs, toüto 7uavT7) ctg gögov dbrcoxovogEixo. Vgl.
Zeller III, 24, S. 842.
1 Auch glaubte er, die Seele des Pythagoreers Nikomachos in sich zu
haben. Marin. 28.
2 ln Fasten und Feiern befolgte er nichtnur die Vorschriften hellenischer,
sondern auch barbarischer Kulte. Marin. 19.
3 Von welcher Bedeutung daher Proklos für unsere Kenntnis der Orphik
ist, lehrt ein Blick auf den Index zu Kerns Orphicorum fragmenta, Berl. 1922,
S. 369—373.
Ernst Hoffmann:
für den hellenischen Geist bundesgenössische Gedanken in allen
Weltanschauungen, mit einziger Ausnahme der christlichen; sich
selber aber stellte er ans Ende der ‘hermetischen Kette’ jener Er-
leuchteten, die durch fortgesetzte Überlieferung der grundlegenden
Wahrheiten an der Entwicklung und Enthüllung der einzig richtigen
Philosophie mitgearheitet hatten* 1. Ihm war die eigene Lehre erst
dann Triumph, wenn nicht nur Priestertum und Philosophie zur
Konvergenz gebracht waren, sondern wenn seine Lehre erwiesen
hatte, daß allein der Philosoph zugleich der wahre Priester aller
Kulte2 sei, da die spekulative Rechtfertigung aller Dogmen allein in
seiner Hand liegt. In diesem Vorhaben befolgte Proklos historisch
die Methode, alle Weisheitslehren auf möglichst frühe Quellen zu-
rückzuführen (so die pythagoreische, platonische, aristotelische auf
die Orphik3); der Beweisführung gab er nach Möglichkeit den Cha-
rakter der mathematischen Schlußfolge (am strengsten in der Inst,
theolog.); das göttlich-Eine verwendete er als das Realprinzip, das
einerseits gestattet, alles Sein und Werden triadisch aus ihm zu ent-
wickeln, und das andererseits vom Menschen über allem Wissen den
Glauben (tugtiü verlangt, der nicht nur als Quelle theosophischer
Offenbarung unentbehrlich ist, sondern der allein die Einung mit
dem Einen ermöglicht.
Die Art von Philosophie, die sich als Resultat dieses Bemühens
ergab, ist deutlicher durch ihre Denkform als durch ihren Denkin-
halt zu kennzeichnen. Man darf bei Proklos mit Fug von ‘philo-
sophischem Byzantinismus’ reden, wie es beim Areopagiten einen
kirchlichen Byzantinismus gibt: Je weiter hinauf, umso näher der
ewig ursprünglich bleibenden, konzentrierten Vollkommenheit des
Einen; je tiefer hinab,umso mehr abgeleitet, geteilt und unvollkom-
men das Viele; zwischen oben und unten aber das Ganze als eine
p,uthxoh; 7rXafffjiaaiv s7uaxt,a£ogEV7)v xocteTSs ts paSiax; . . . xal elc, Tiyaysv, k'cj]-
you[Asv6(; ts xaVTa svüt)uai.acraxGyrspov xal sh cru[xcpft)Vtav aycov. nocai St xoiq/rütv TcaXca-
OTspcov ypdc[xp,aaiv etcEimv, oaov p.sv 9}v xap’ aÜTOii; yovi.gov, touto jaet’ sraxplascix;
sDs7toisiTO, sl 8e tu; avsgiaiov Tjupiaxs, toüto 7uavT7) ctg gögov dbrcoxovogEixo. Vgl.
Zeller III, 24, S. 842.
1 Auch glaubte er, die Seele des Pythagoreers Nikomachos in sich zu
haben. Marin. 28.
2 ln Fasten und Feiern befolgte er nichtnur die Vorschriften hellenischer,
sondern auch barbarischer Kulte. Marin. 19.
3 Von welcher Bedeutung daher Proklos für unsere Kenntnis der Orphik
ist, lehrt ein Blick auf den Index zu Kerns Orphicorum fragmenta, Berl. 1922,
S. 369—373.